03.07.2019 / Feuilleton / Seite 1 (Beilage)

Der Abdruck der Ware

Die Schönheit des Weinbergs in unversöhnten Zeiten

Daniel Bratanovic

Die Hügellandschaft reizt. In den Weinbergen der Südsteiermark vereinen sich Naturschönes und jahrhundertelang erprobte Bodenkultivierung zu einem höchst erfreulichen Anblick. Tatsächlich: Zuweilen bilden geographische und ökonomische Bedingungen »Kunstformen« aus. Und doch verbietet sich der Ausruf »O wie schön«. Zur bloßen Reklamekulisse für Artikel degradiert, denen man ihre angedichtete Natürlichkeit abkaufen soll, ist die Kulturlandschaft in den Kreislauf von Warenproduktion und -konsumption integriert. Dem allumfassenden Tauschverhältnis subsumiert, verdinglicht sich Natur zum Naturschutz- oder Freizeitpark. Agrotourismus soll ursprüngliche Unmittelbarkeit simulieren, wo längst alles vermittelt ist. Dr. Adorno verordnet strenge Enthaltsamkeit: »Das Naturschöne geht im Zeitalter seines totalen Vermitteltseins in seine Fratze über; nicht zuletzt bewegt die Ehrfurcht dazu, vor seiner Betrachtung so lange Askese zu üben, wie es mit den Abdrücken der Ware überzogen ist.«

Wer den Blick westwärts über die südsteierischen Hügel streifen lässt, erkennt am Horizont die ersten alpinen Erhebungen des Bundeslands Kärnten. Von dort stammt, fest verwurzelt in heimischer Erde, der »Volks-Rock’n’Roller« Andreas Gabalier. Der Hansdampf in Tracht hat die Warenförmigkeit des Heimatkitsches vollständig internalisiert. Was ironisch anmutet, ist ernst gemeint: »I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzel aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / So wie’s früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben, wie sie sind / In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand …« Die Performance von Nation vermöge der Anbetung einer Biskuitrolle, hergestellt und vermarktet von einem US-amerikanischen Zuckerbäckergiganten – ein Erfolgsrezept: Andreas Gabalier hat bisher mehr als zwei Millionen Tonträger verkauft.

Ein enger Geistesverwandter war bis vor kurzem noch österreichischer Vizekanzler und Vorsitzender der »sozialen Heimatpartei« FPÖ. Das Video, das ihn zu Fall brachte, zeigt diesen Hans-Christian Strache auf Koks und Ibiza, wie er, beflügelt zudem durch den Verzehr einer Mischung aus koffeinsatter Brause und Wodka, künftige Machtfülle, Beherrschung der Presse sowie staatliche Auftragsvergabe nach eigenem Gusto herbeihalluziniert. Der in Wien erscheinende Kurier bedauerte die Getränkewahl des Vizekanzlers: »Schade, dass sich HC Strache für Wodka entschieden hat: Die Mittelmeerinsel ist eigentlich für körperreiche Rotweine bekannt.« Jammerschade, die Großmannssucht des gelernten Zahntechnikers wäre beim Genuss eines balearischen Malvasía sicher weitaus weniger vulgär geraten.

Österreichs aufgescheuchte Sozialdemokraten wähnten nach Veröffentlichung der Aufnahmen sogleich »unsere Heimat« in Gefahr, die »Strache und die FPÖ« an »russische Oligarchen verkaufen« wollten. Und dafür glaubten sie mehr als nur ein Indiz an der Hand zu haben. Wladimir Putin, in der Wahrnehmung dieser Leute nichts anderes als der Capo dei Capi, Lehnsherr der schwerreichen russischen Glücksritter, war der Einladung der damaligen Außenministerin gefolgt und hatte im vergangenen August an deren Hochzeitsfeierlichkeiten teilgenommen. Karin Kneissl, von der »sozialen Heimatpartei« auf ihren Posten gehievt, bedankte sich beim hohen Besuch aus Moskau mit einem tiefen Knicks. Und auch sonst ging es kultivierter zu als auf Ibiza: Man trank südsteierischen Weißwein vor malerischer südsteierischer Kulisse. Da schien die Welt in Ordnung.

In Adornos Pessimismus glimmt noch ein Funken Hoffnung. »Das Naturschöne bleibt Allegorie« eines Jenseits »der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Arbeit und ihrer Waren«, solange diese Allegorie nicht der Verschleierung und Rechtfertigung unversöhnter Verhältnisse dient, weil doch solche Schönheit möglich sei. Dessen mag innewerden, wer auf einem Hügel an der Grenze zu Slowenien unter einer Pappel hockt, vielleicht ja mit einem Glas Weißen aus jenen Landen in der Hand. Der andere Philosoph würde dann vermutlich sagen: So wie früher, in der Milka-Tender-Werbung.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/356943