13.02.2019 / Antifaschismus / Seite 1 (Beilage)

Im Westen nichts Neues

Die Strömung der »Neuen Rechten« ist Jahrzehnte alt. Ihre Vorläufer finden sich in der Weimarer Republik, in der BRD wirken sie schon seit längerem

Daniel Bratanovic

Zu den politischen Mythen der Bundesrepublik gehören die »Stunde Null« und der »demokratische Neuanfang«. Zwar wurde diese Erzählung schon vergleichsweise früh hinterfragt, auf »Determinanten der westdeutschen Restauration« nach Ende des Zweiten Weltkriegs hingewiesen und die erdrückende personelle Kontinuität zum Naziregime in nahezu allen Abteilungen des Staatsapparats aufgedeckt, doch bei offiziellen Feierstunden dürfen solche unschönen Befunde die Laune nicht trüben. Die Festtagsredner beschwören die Erfolgsstory BRD mit Wirtschaftswunder und »Westernisierung«, mit »Freiheit statt Sozialismus« und warnen neuerdings verstärkt vor den Gefährdern der Demokratie.

Bei einem Festakt »100 Jahre Weimarer Reichsverfassung« am 6. Februar drückte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sein Erstaunen darüber aus, dass die deutsche Trikolore »heute am auffälligsten ausgerechnet von denen geschwungen wird, die einen neuen nationalistischen Hass entfachen wollen«. Absurd findet er das, denn »Schwarz-Rot-Gold, das sind unsere Farben! Sie sind das Wahrzeichen unserer Demokratie! Überlassen wir sie niemals den Verächtern der Freiheit!« Wer so redet, glaubt oder will zumindest Glauben machen, der angedeutete Feind sei plötzlich und wie ein Fremdling über die freiheitlich-demokratische Gemeinde gekommen, die nunmehr fester zusammenrücken soll. Daran stimmt weder das eine noch das andere. Doch zuzugeben, dass da nichts unvermittelt und unerwartet und schon gar nicht von außen dräut, erforderte, sich kritisch mit Einrichtung, Historie und Politik dieses Staates zu beschäftigen, was sich Steinmeier als dessen oberster Repräsentant allerdings versagen muss.

Dann nämlich ließe sich auch herausfinden, dass die ideologische, organisatorische und publizistische Strömung, die da unter dem Namen »Neue Rechte« firmiert und die dem »neuen natio­nalistischen Hass« die theoretische Begründung liefert, alles andere als »neu« ist und deren Standpunkte auch immer wieder mal in Politik und Programmatik der Unionsparteien einflossen. Von der so fesch und fresh daherkommenden »Identitären Bewegung«, die im Sommer 2017 mit ihrer Aktion »Defend Europe« sicherstellen wollte, dass Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, lässt sich ein Bogen spannen, der zurück zu den von der Schwerindustrie ausgehaltenen Protagonisten einer »Konservativen Revolution« der Weimarer Zeit reicht.

Unter diesem Sammelbegriff für die verschiedenen dezidiert antiliberalen, antidemokratischen und antiegalitären Strömungen jener Tage wollte der eigentliche Hausgott der »Neuen Rechten«, der Schweizer Publizist Armin Mohler, eine eigene Denkschule konstruieren. Mohler war zeitweilig Berater und Redenschreiber für Franz Josef Strauß und regelmäßiger Autor im CSU-eigenen Parteiblatt Bayernkurier. 1965 vermittelte er seinen Schüler Marcel Hepp als persönlichen Referenten an den CSU-Vorsitzenden, den er von den Vorzügen eines »deutschen Gaullismus«, verstanden als Abkehr vom US-amerikanischen Seniorpartner mit eigener Force de Frappe (Atomstreitmacht), zu überzeugen suchte, was allein die politische Großwetterlage des Kalten Krieges verhinderte. Caspar von Schrenck-Notzing, einem weiteren Zögling, half er bei der Gründung der Zeitschrift Criticón, die zum Sprachrohr rechter Intellektueller geriet und für die Alexander Gauland, da noch Teil des stramm rechten Stahlhelm-Flügels der hessischen CDU, seine Beiträge ablieferte.

Die öde und dumme Litanei vom »Volkstod« durch Einwanderung, ohne die keine der gegenwärtigen neurechten Postillen auskommen kann und die nicht rassistisch sein soll, erklang in gleicher Wortwahl schon, als Gauland für Criticón die Feder führte. In einem »Heidelberger Manifest« mehrerer Hochschulprofessoren vom 17. Juni 1981 hieß es beispielsweise: »Mit großer Sorge beobachten wir die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen von Ausländern …«

Das war zugleich während der Hochphase der Friedensbewegung, an die auch eine »nationalrevolutionäre« Strömung Anschluss suchte, die vor der Auslöschung des deutschen Volkes durch Verschulden der Supermächte warnte. Es gab tatsächlich einige bürgerliche Demokraten und Linke, die sich damals von solcher Demagogie täuschen ließen. Auch das ist also nicht wirklich neu.

Neu ist allenfalls die momentane Stärke der »Neuen Rechten« oder zumindest deren mediale Beachtung. Ihre Eingemeindung ist in vollem Gange, ihre Akzeptanz könnte sich, weiterer wahrscheinlicher Krisen eingedenk, erhöhen, ihre Positionen könnten irgendwann womöglich auch strategische Interessen bedienen, so wie sich einst die Schwerindustrie etwas von der »Konservativen Revolu­tion« versprach. Steinmeier dürfte dann nicht mehr Bundespräsident sein.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/348919