29.12.2018 / Aktion / Seite 16

Rote Insel

2018 war das Jahr des Abgesangs auf die gedruckte Tageszeitung. Warum die junge Welt trotzdem überleben kann

Dietmar Koschmieder

Die Berliner Taz (Tageszeitung) schaut gern in die Glaskugel: Schon im Sommer 2013 sinniert ihr Geschäftsführer öffentlich darüber, wie lange man sich bei dramatisch sinkender Auflage eine täglich gedruckte Ausgabe überhaupt noch leisten könne, und präsentiert seine Lösung des Problems: Neben der Onlinestrategie setze die Taz voll auf die Wochenendausgabe. Die wird ein wenig aufgeblasen, ist seitdem »dick und gemütlich«, eine Zeitung für dann, wenn der Leser Zeit hat. Die verkaufte Auflage sinkt trotzdem weiter, auch am Wochenende. Fünf Jahre später wird im Sommer 2018 verkündet, dass sich das Taz-Management nur noch für dreieinhalb Jahre eine täglich gedruckte Ausgabe leisten wolle: Danach soll die Zeitung ausschließlich digital erscheinen – abgesehen von der Wochenendausgabe, verkündet Taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch und wird dafür von der Berliner Morgenpost als »der mutigste deutsche Zeitungsmanager« gelobt. Kritische Hinweise aus der Leserschaft, dass der Auflagenschwund etwas mit austauschbaren Inhalten zu tun haben könne, werden ignoriert.

Der ökonomischen Not gehorchend, folgt auch das Neue Deutschland diesem Trend: Im Herbst 2018 werden die gedruckten Ausgaben von Montag bis Freitag auf 16 Seiten geschrumpft, dafür aber die Wochenendausgaben aufgehübscht: Bei gleichbleibender Seitenzahl werden sie vom täglichen Nachrichtengerümpel befreit. Aus neues deutschland, sozialistische Tageszeitung wird nd, die Woche. Auch hier fragen viele Leserinnen und Leser, ob der Auflagenverfall nicht auch etwas mit inhaltlicher Beliebigkeit zu tun haben könne – die mit dem Titel- und Imagewechsel eher zu- als abgenommen hat. Das Neue Deutschland wird so jedenfalls keine dreieinhalb Jahre bis zum Ende seiner täglich gedruckten Version durchhalten.

Aber schon jetzt steht fest, dass die nächste gedruckte Tageszeitung, die dicht macht, nicht aus dem Hause Taz oder ND kommt – sondern aus dem Hause Springer: Zum Jahresende 2018 wird die Fußball-Bild (FuBi) eingestellt: Man habe sich geirrt und den Markt falsch eingeschätzt, obwohl sich im Hause beim Start seinerzeit alle einig gewesen seien, dass das Ding aufgrund der Fußballbegeisterung im Land ein Riesenerfolg werden würde, teilt der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses, Mathias Döpfner, Mitte Dezember 2018 mit. Doch nach dem Irrtum ist vor dem Irrtum, denn fast gleichzeitig deutet er das nächste Springer-Projekt an. Und was kommt nach dem Tagesprojekt? Richtig! Das Wochenprojekt: Springer plant ein politisches Wochenmagazin mit dem Titel Bild Politik. Wenn das überhaupt etwas wird, wird es auch so ein dickes und gemütliches Ding werden.

Die junge Welt soll – neben den verschiedenen digitalen Möglichkeiten – auch weiterhin als gedruckte Tageszeitung verfügbar sein. Ausgerechnet ein konzernunabhängiges und linkes Blatt kann praktisch nachweisen, dass der Verfall der verkauften Auflage am Kiosk oder bei den Abonnements in den letzten 20 Jahren nicht zwangsläufig ist. Das hat viel mit dem speziellen Marketing der jungen Welt zu tun und damit auch sehr viel mit dem außergewöhnlichen Engagement der Leserinnen und Leser. Auch dies ist letztlich nur über den hohen Nutzwert der Zeitung und dieser über ihre klare inhaltliche Positionierung zu erklären: Eine vergleichbare Tageszeitung gibt es nicht, weshalb ihr Verlust nicht durch eine andere zu ersetzen wäre.

Weil aber auch die junge Welt seit 1990 den Gesetzen und Schwankungen des kapitalistischen Marktes ausgesetzt ist, wird der Kampf für ihren Erhalt härter: Dramatische Preiserhöhungen durch die Deutsche Post AG, die für die jW-Zustellung jährlich mindestens 90.000 Euro mehr abkassieren will, juckt andere betroffene Zeitungen kaum: Sie vertreiben in der Regel nur noch Restexemplare über die Deutsche Post. Die Druckpreise steigen, schon deshalb, weil immer weniger Zeitungspapier hergestellt wird. Diese und andere wachsende Kosten muss der Verlag der jungen Welt durch mehr Einnahmen kompensieren – weil aber für ihn die gedruckte Tageszeitung kein Auslaufmodell ist und der Abopreis deshalb erschwinglich bleiben soll, ist er bei Strafe des Untergangs darauf angewiesen, Reichweite und Abobestände kontinuierlich zu erweitern. Dies wird immer schwieriger: zum einen, weil die linke Zeitung immer stärker von Werbeverboten und anderen Repressionen (wozu auch die bewusste Nennung im jährlichen Verfassungsschutzbericht oder Schmähungen durch die Bundeszentrale für politische Bildung gehören) betroffen ist, zum anderen, weil die Zustellqualität durch Zustelldienste (vor allem die der Deutschen Post AG) immer schlechter wird. Auch im digitalen Format sind mittlerweile Reichweiten nur zu vergrößern (und Abonnements zu gewinnen), wenn dafür viel Geld in die Hand genommen – und man nicht trotzdem über diverse Filter blockiert wird.

Wir haben im Jahr 2018 den offiziellen Abgesang auf die gedruckte Tageszeitung erlebt. Wenn die junge Welt trotzdem überleben will, wird sie ihre Arbeit auf neue Grundlagen stellen müssen: Im digitalen Bereich nicht nur für das Produkt junge Welt, sondern auch bei den Werbeformen dafür. Wir können aber auch verstärkt auf Bewährtes zurückgreifen, um auf die Existenz der jungen Welt (und auf die Notwendigkeit von mehr Abos) hinzuweisen: Keine Demo ohne jW-Verteilung! Keine Buchmesse, kein Gewerkschaftstag ohne rote jW-Insel! Keine Region ohne aktive jW-Leserinitiative!

Die Bedingungen für Erhalt und Weiterentwicklung der jungen Welt sind so schwierig wie noch nie – die Notwendigkeit wenigstens einer kritischen Tageszeitung gegen Krieg und Ausbeutung war aber auch noch nie so offensichtlich. Wenn wir unsere Möglichkeiten klug nutzen, wird genau diese Zeitung auch in den nächsten zehn Jahren verfügbar sein.

https://www.jungewelt.de/artikel/346261.kein-tag-ohne-jw-rote-insel.html