28.09.2018 / Feuilleton / Seite 11

Friede den Hütten

Wiglaf Droste

Freund Axel schreibt vom Wandern, mit dem ihn Wohlwollen verbindet; i-Tupf und Gipfel seiner Begeisterung sind die Worte »mit Hüttenübernachtung«. Hüttenübernachtung – für mich klingt das eher nach Hüttenschuh und Hüttenkäse, vielleicht sogar nach Hüttenkäsefüßen, maximal noch nach Holz vor der Hütte, aber das ist wrrängisch-ländliche Errodigg-Medaworigg und gehört nicht hierher.

Die Wanderlust: Im Altweiber- und Altmännersommer ergreift sie den Menschen und ist dabei so grunddeutsch, dass die englische Sprache kein eigenes Wort für sie kennt; das deutsche Wort Wanderlust heißt auf englisch: Wanderlust. Das klingt verwunderlich, ist aber nur verwanderlich und baum- und traumwandlerisch. Und mir allemal sympathischer als das stöckeklackernde Nordic Walking und, letzter (oder schon vorletzter?) Schrei, das »Tree Ba­thing«, eine Art vorgeblich ganz bewussten Waldspaziergangs ohne Baumumarmung. (Auf marketingsch gesagt: Tree Ba­thing ist das neue Bäume umarmen.) Man kann aus allem eine Mode machen, einen Trend, ein Geschäft; irgendwann wird das Einatmen von Waldluft besteuert und bemautet; dazu muss man nur die Waldwege verstacheldrahten, damit niemand ungeschoren und unabkassiert an der Zahlstelle vorbeikommt. Was wollen Sie? Das sind Arbeitsplätze! Wir sind hier in Deutschland, da ist der Arbeitsplatz heilig! Lieber KZ-Wärter als Vater Staat auf der Tasche liegen, nöiich?

Bevor es soweit ist, gehen wir noch schön in den Wald, erfreuen uns der leuchtenden und handschmeichelnden Rosskastanie, des, so er denn endlich aufschießen wollte, Gevatters Steinpilz und des Weinbergschnecks, dem Hüter der Hütten: Wo er sich schmatzend labt, da wächst kein Gift. Also ran an den Schneck und naufi, zur Hütt’n, das am Wegesrand Gefundene zubereiten und ein Gebet sprechen für die Tree-Ba­thing-Women and -Men, die in ihre Paläste zurückgekehrt sind, wo man ihnen ihre gar gelatschten Wandersocken in Friture schön knusprig anrichtet und serviert. Das Mahl wird ihnen mit einer Sentenz des Philosophen und Rhetorikers Mehmet Scholl präsentiert: »Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt.«

Das steht in direkter Nachfolge Georg Büchners, dessen »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« Anwendung finden könnte, wenn Darmstädter akademische Schnarchnasen im Namen Büchners einen Preis verleihen an Autorinnen und Autoren, die in den Fächern Hüttenkäseprosa und Hüttenschuhlyrik tadellos brav und fleißig sind. Da steh ich auf und wandere, und such mir ein paar andere.

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