14.09.2018 / Schwerpunkt / Seite 3

Hintergrund: Gegen den Mainstream

Noch bis zum morgigen Sonnabend findet an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf die »Ferienuni Kritische Psychologie« statt. Seit Dienstag treffen sich dort Theoretiker, Praktizierende und gesellschaftliche Akteure der Psychologie und ihrer Nachbardisziplinen. Unter dem diesjährigen Motto »Ask them why« (Frag sie, warum) kritisieren sie, dass die meisten psychologischen Forschungsarbeiten zwar methodisch einwandfrei durchgeführt würden, aber bedeutungslos seien angesichts gegenwärtiger Herausforderungen. Die Mainstreampsychologie erforsche eher gut Zugängliches als die Alltagsprobleme der Menschen sowie deren Folgen. Das wollen die kritischen Fachvertreter hinterfragen und Menschen nicht als passive Versuchspersonen betrachten, sondern die Gründe ihrer Handlungen in den Mittelpunkt stellen. Veranstaltet wird die Ferienuni von der Gesellschaft für subjektwissenschaftliche Forschung und Praxis e. V. (GsFP) sowie Psychologen aus Berlin, Marburg und Klagenfurt. Unterstützt werden sie von 15 Studentenvertretungen, dem Fördererkreis demokratischer Volks- und Hochschulbildung e. V. (FdVH) sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung.

Die Kritische Psychologie entstand an der Westberliner Freien Universität, wo der Psychologieprofessor Klaus Holzkamp (1927–1995) unter dem Eindruck der 68er-Studentenbewegung den Klassenkampf in seiner Disziplin erkannte – und sich auf die Seite der jungen Leute stellte. Unter Einfluss sowjetischer Psychologen wie Alexei Leontjew (1903–1979) schuf er eine marxistische »Grundlegung der Psychologie« (1983). Er kritisierte, dass menschliches Verhalten reduziert werde zur Reaktion auf Verhältnisse, welche in der bürgerlichen Psychologie als naturgegeben hingenommen würden. Statt dessen prägte Holzkamp das Begriffspaar der »restriktiven« und der »verallgemeinerten Handlungsfähigkeit«. Demnach würde den Menschen im Kapitalismus die Entwicklung auf Kosten anderer nahegelegt oder geradezu aufgezwungen – sie könnten aber auch stets versuchen, gemeinsam den Einfluss auf ihre Lebensbedingungen zu vergrößern.

Die Kritische Psychologie hat wertvolle Forschungsbeiträge geliefert, darunter Ute Osterkamps »Rassismus als Selbstentmächtigung« (1996), Gisela Ulmanns »Über den Umgang mit Kindern« (1987) und Klaus Holzkamps »Lehren als Lernbehinderung?« (1991). Allerdings wird sie in Deutschland aus den Universitäten verdrängt. Deshalb stellt man sich auf außeruniversitäre Strukturen um – seit 2010 auch mit der »Ferienuni Kritische Psychologie«. (mn)

Weitere Informationen unter: kritische-psychologie.de

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