30.08.2018 / 0

Rotlicht: Recht auf Arbeit

Daniel Bratanovic

In Zeiten, in denen jeder einzelne zum Unternehmer seiner Ware Arbeitskraft zugerichtet wird, jeder Handwerker am besten gleich als Soloselbständiger in einem erbarmungslosen Unterbietungswettbewerb treten soll, die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit längst verwischt sind und der Staat mit der Drohung der Leistungskürzung den Almosenempfänger zur Annahme jeder beliebigen und lächerlich entlohnten Dreckstätigkeit zwingt – in diesen Zeiten ist der Ruf nach einem Recht auf Arbeit längst verstummt. Doch der frühen Arbeiterbewegung war es eine Kernforderung.

Bereits die Französische Verfassung von 1793, verfasst und verabschiedet inmitten der Revolution, enthielt in ihrem Artikel 21 den Satz: »Die Gesellschaft schuldet ihren unglücklichen Mitbürgern den Unterhalt, indem sie ihnen entweder Arbeit verschafft oder denen, die außerstande sind, zu arbeiten, die Mittel für ihr Dasein sichert.« Der als »utopischer Sozialist« kanonisierte Charles Fourier (1772–1837) formulierte 1816 in seiner Schrift »Aus der neuen Liebeswelt« ähnlich, aber kritisch gegen die abstrakten Rechte der Französischen Revolution gewandt, das Recht auf Arbeit sei das »erste der natürlichen Rechte«, das eine Gesellschaft dem Armen zu verbürgen habe. Mehr verlange der gar nicht. Das Volk lasse sich »die Unterwerfung, die Ungleichheit und die Knechtschaft gefallen, sofern ihr nur auf die Mittel sinnt, ihm zu Hilfe zu kommen, wenn politische Wirren es seiner Arbeit berauben, zur Hungersnot verdammen, in Schande und Verzweiflung stoßen«.

Das Gottvertrauen in die gerechte Obrigkeit und die Subordination des Volkes wurde mit der Juniinsurrektion von 1848 enttäuscht. Noch im Februar hatte die neue Revolutionsregierung unter Mitwirkung des kleinbürgerlichen Sozialisten Louis Blanc das Recht auf Arbeit proklamiert und zu dessen Gewährleistung in Paris sogenannte Nationalwerkstätten eingerichtet. Deren aufgrund mangelnder Disziplin und Effektivität sowie gefürchteter sozialistischer Agitation erfolgte Schließung gab den Anlass zur Erhebung vom Juni, die dann rasch und äußerst brutal niedergeschlagen wurde.

In seiner Schrift »Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848–1850« befand Marx, das Recht auf Arbeit sei bloß eine »erste unbeholfene Formel, worin sich die revolutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfassen«. Und stipulierte unmissverständlich: »Das Recht auf Arbeit ist im bürgerlichen Sinn ein Widersinn, ein elender, frommer Wunsch.« Gleichwohl gab er zu bedenken, dass dahinter »die Gewalt über das Kapital« stehe und hinter dieser wiederum die Aneignung der Produktionsmittel, »also die Aufhebung der Lohnarbeit, des Kapitals und ihres Wechselverhältnisses«.

Der Widersinn mit dem verborgenen revolutionären Gehalt fand seinen Niederschlag nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den fortschrittlichen Verfassungen Italiens und Frankreichs, aber auch in einigen Landesverfassungen der Bundesrepublik. Einklagbar war dieses Recht nie, bestenfalls programmatisch zu verstehen als moralischer Appell oder sittliche Pflicht. In stiller Übereinstimmung mit der Marxschen Doxa schrieb der bürgerliche Brockhaus dazu ganz lakonisch, ein solches Recht sei mit der »privat- und marktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar«.

Anders im Sozialismus. Die Außerkraftsetzung der Warenförmigkeit der Arbeitskraft beseitigte die Arbeitslosigkeit, und das Recht auf Arbeit, verfassungsmäßig verankert, war mehr als Programmsatz. Inwiefern die sozialistischen Gesellschaften dabei jenseits der Garantie eines Arbeitsplatzes Möglichkeiten zur schöpferischen Entfaltung des Bürgers boten, ist ein anderes Thema.

Ein gutes Vierteljahrhundert nach der restlosen Beseitigung sozialistischer Verkehrsformen ist die allenthalben zu vernehmende Phrase von der Selbstverwirklichung qua Arbeit eine Perversion, die in Wahrheit Entgrenzung des Arbeitstages und maximale Ausbeutbarkeit bedeutet.

https://www.jungewelt.de/aktion/sommer-2018/339121