08.08.2018 / Kapital & Arbeit / Seite 1 (Beilage)

Lob des Bauern

Angesichts der Dürre werden Landwirte aufgefordert, sich dem Klimawandel anzupassen. Ein Museumsteam hat ihnen erst einmal zugehört

Jana Frielinghaus

Die Lage ist dramatisch. In weiten Gebieten Nord- und Ostdeutschlands hat es seit April nicht mehr geregnet, so mancher Landwirt hat vertrocknetes Korn längst untergepflügt. Die Prognose für die erwartete Gesamtmenge an Getreide in Deutschland hat der Deutsche Bauernverband am 1. August noch einmal auf 36 Millionen Tonnen nach unten korrigiert. Das wären fast zehn Millionen Tonnen bzw. 21 Prozent weniger als im vergangenen Jahr. Auch die für die Versorgung der Tiere vorgesehenen Kulturen haben zu wenig Ertrag gebracht, so dass es in einigen Betrieben wegen des Futtermangels bereits zu Notschlachtungen kam. Für Tierhalter will Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner deshalb schnelle Nothilfen organisieren – in welcher Form, ließ sie vergangenen Mittwoch noch offen und ebenso, für wen es sonst noch etwas geben wird. Nach ihren Angaben werden normalerweise im Juni und Juli 17.000 bis 19.000 Kühe pro Woche geschlachtet, in den vergangenen Wochen seien es aber bis zu 22.000 gewesen. Diese Entwicklung wiederum drückt auf die Fleischpreise.

In dieser Situation wird durchaus nicht nur vom Bauernverband, sondern auch von Umweltorganisationen und Ökolandbauverbänden schnelle und unbürokratische Unterstützung verlangt, um eine weitere Beschleunigung des Höfesterbens zu verhindern. Die Linke und der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft appellierten zudem an die Bundesregierung, die Pachtpreise für betroffene Betriebe zu senken. Der Hintergrund: Die dem Bundesfinanzministerium unterstellte Bodenverwertungs- und verwaltungsgesellschaft (BVVG), eine Treuhand-Nachfolgerin, ist in Ostdeutschland größter Verpächter von Agrarflächen – und wird von vielen Bauern als Preistreiber gesehen.

Zugleich haben das Bundesumweltministerium und andere Institutionen die Bauern im Zusammenhang mit der Dürre aufgefordert, sich besser an den Klimawandel anzupassen. Sie sollten hitzeresistentere Pflanzen anbauen, vielfältigere Fruchtfolgen schaffen, hieß es. Die Landwirtschaft ist seit langem Daueradressat zahlloser Forderungen: Mehr Umwelt-, Tier-, Ressourcenschutz, weniger Pestizide, mehr Hecken, Blühstreifen für die Bienen – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Dass die Branche diejenige ist, die in der Kette von Lebensmittelerzeugung, -verarbeitung und -vermarktung ökonomisch wie keine andere unter Druck steht, darüber wird dabei selten nachgedacht. Es interessiert nur wenige Menschen ernsthaft, unter welchen Bedingungen Landwirte im Zeitalter globalisierter Märkte und entsprechender Dauerniedrigpreise produzieren müssen. Viele zehren längst von der Substanz. In dieser Lage wird ihnen von Ministern und Umweltaktivisten gern ans Herz gelegt, doch endlich auf Ökolandbau umzustellen oder ihre Produkte selbst zu verarbeiten und regional zu vermarkten. Woher sie das Geld dafür nehmen sollen, sagt niemand.

Eine Ausnahme im Forderungs- und Anprangerungswettbewerb bildet ein Museum im Brandenburgischen, 70 Kilometer nordöstlich von Berlin. Vielleicht liegt es daran, dass das frühere Freilicht- und heutige Oderbruchmuseum Altranft vor drei Jahren schon mal selbst fast vor dem Aus stand. Der zuständige Landkreis wollte es schließen. Dass es heute noch existiert, ist dem Engagement all jener zu verdanken, die damals einen Trägerverein gründeten, um es weiterführen zu können. Mit der Reorganisation sollen die Örtlichkeiten zwischen Altranfter Schloss und »Berg-Schmidt-Hof« nicht mehr nur Einblick in die Geschichte der Region zwischen Oder und Freienwalder Endmoräne geben, sondern das Leben auf dem Land zeigen, »wie es war, wie es ist, und wie es möglicherweise sein wird«. Man sehe sich als Institution für »regionale Selbstbeschreibung«, sagt Kenneth Anders vom Programmbüro.

Das Altranfter »Jahresthema« ist 2018 die Landwirtschaft. Am 1. Juli wurden gleich drei neue Ausstellungen dazu eröffnet, und für den Jahreswechsel ist eine Buchveröffentlichung geplant. Für diese und für die Exposition im Schloss haben Museumsleute knapp 30 Betriebe der Region besucht, lange Gespräche mit deren Leitern bzw. mit Bäuerinnen und Bauern geführt und deren Tätigkeit fotografisch dokumentiert. Jede Betriebs- und Wirtschaftsform wurde dabei berücksichtigt: von der großen Agrar-GmbH oder -Genossenschaft bis zum Ökohof, vom Verein der solidarischen Landwirtschaft über den »Hähnchenbaron« bis zur 20.000-Hektar-Firma. Bemerkenswert: Das Team um die Kulturwissenschaftler Kenneth Anders und Lars Fischer war bereit, unvoreingenommen zuzuhören. »Die etablierten Begriffe ersticken das Fragen«, sagte Anders bei der Vernissage. Alles scheine mit Bezeichnungen wie »industriell, konventionell, ökologisch, Massentierhaltung und Pestizid« geklärt zu sein. Vor der Wirklichkeit versagten solche Zuschreibungen.

Eine der drei Ausstellungen hat Michael Fehr in einer ehemaligen Scheune gestaltet. Unter dem Motto »Lob des Bauern« befasst er sich mit den Energieflüssen in verschiedenen Betriebsformen einerseits und mit der Flut an Daten, die in Agrarunternehmen jeder Größe bearbeitet und berücksichtigt werden müssen, andererseits. Der emeritierte Professor für Kunstgeschichte hat sich dabei tief in die Materie hineingewühlt. Sein Mittel sind große Schaubilder und kleine figürliche Darstellungen. Mit Hilfe einer gewaltigen Konstruktion, die in Dimensionen und Anordnung an die Schaltzentrale eines Kraftwerks erinnert – eine Tischplatte und eine riesige Schauwand voller Namen und Beschreibungen von Gesetzen, Verordnungen, Förderrichtlinien etc., links und rechts gesäumt von Regalen voller Aktenordner und Fachbücher, wird demonstriert, wie sehr die Anforderungen an den Berufsstand gestiegen sind.

Bleibt zu hoffen, dass sich auch jenseits dieser Kultureinrichtung ein anderer Umgang mit Landwirten etabliert, die in der Regel ein ganz eigenes, sowohl fachliches als auch ökonomisches Interesse an nachhaltigem Wirtschaften haben. Ausgebremst werden sie dabei von einer Politik, die sich an den Interessen der exportorientierten Verarbeitungsindustrie und des Handelsoligopols orientiert. Deren Vertreter interessieren sich nicht die Bohne für regionale und damit umweltverträgliche Versorgung und dafür, wie Bauern tierschutzgerecht und ökologisch nachhaltig arbeiten und davon auch noch leben können.

Die Fotos dieser Beilage stammen von Ulrich Seifert-Stühr. Sie sind Teil des aktuellen Ausstellungs- und Buchprojektes des Oderbruchmuseums Altranft im ostbrandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland zum Thema Landwirtschaft. Seifert ist Vorstandsmitglied im Museumsverein Altranft e. V.

Weitere Informationen: museum-altranft.de

https://www.jungewelt.de/beilage/art/336954