12.05.2018 / Inland / Seite 4

Patientengespräch im Internet

Deutscher Ärztetag macht Weg frei für Online-Sprechstunden. Die Linke warnt vor falschen Prioritäten

Jan Greve

»Bei Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Chat-Protokolle und fragen Sie Ihren Informatiker oder Sprachassistenten« – so oder so ähnlich stellt sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wohl die Zukunft der ärztlichen Versorgung auf dem Land vor. In seinem Sinne sprach sich am Donnerstag eine große Mehrheit auf dem Ärztetag in Erfurt dafür aus, dass Patienten künftig vermehrt in Online-Sprechstunden beraten werden können.

Eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots für Mediziner soll dies möglich machen. In der Folge könnten Patienten »im Einzelfall« künftig ausschließlich per Online-Chat, Telefon oder E-Mail behandelt werden, ohne vorher in der Praxis gewesen zu sein. Dies gelte, »wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt (...) gewahrt wird«, heißt es in dem entsprechenden Beschluss. Bislang war es notwendig, dass Patienten zuvor bereits in der Arztpraxis untersucht worden waren.

Minister Spahn unterstützte den Beschluss. Unnötige Wege und Wartezeiten blieben so den Patienten erspart. »Damit helfen wir Ärzten und Patienten«, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag. Bereits zu Beginn des Ärztetages hatte Spahn für eine Liberalisierung des Fernbehandlungsverbots geworben. In einem nächsten Schritt müssen nun die Landesärztekammern über den Beschluss beraten.

Auch Josef Mischo, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, zeigte sich zufrieden. Man wolle das Thema Telemedizin gestalten und »dieses Feld mit unserer ärztlichen Kompetenz besetzen«. Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt stelle aber »weiterhin den Goldstandard ärztlichen Handelns dar«.

Bereits am Mittwoch nannte Achim Kessler, Sprecher für Gesundheitsökonomie der Bundestagsfraktion der Linken, die Online-Sprechstunden eine »sinnvolle Ergänzung«. Dies gelte aber nur, wenn nicht die Interessen der IT-Industrie im Mittelpunkt stehen, »sondern die der Patientinnen und Patienten«. Kessler verwies auf das Problem medizinisch unterversorgter Regionen. Hier gelte es sicherzustellen, dass der persönliche Kontakt mit dem behandelnden Arzt auch in Zukunft gewährleistet wird. Der Anspruch einer wohnortnahen medizinischen Versorgung dürfe nicht aufgegeben werden, so der Linke-Politiker.

Der Verdacht liegt nahe, dass wegen der fehlenden Ärzte im ländlichen Raum die Digitalisierung der medizinischen Versorgung als Sachzwangargument ins Feld geführt wird. Wenn persönliche Gespräche zwischen Arzt und Patient zum »Goldstandard« erklärt werden, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Verantwortliche verkünden: Nicht jeder brauche den »Goldstandard«, für die Mehrheit reiche auch Silber oder Bronze.

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