15.03.2018 / Feuilleton / Seite 1 (Beilage)

Die Schönheit der Nichtsnutze

Dank des Erzählungsbandes »Humbug und Variationen« kann man den rumänischen Nationaldichter Ion Luca Caragiale auf deutsch entdecken

Michael Schweßinger

Wer kennt heute noch den schwedischen Schriftsteller Harry Martinson (1904–1978) oder den Schotten James Leslie Mitchells (1901–1935)? Dank des Berliner Guggolz-Verlags konnte man in den letzten Jahren Martinsons anarchische »Reisen ohne Ziel« und Mitchells’ karge Landschaftsbeschreibungen in den »Szenen aus Schottland« in Neuübersetzungen entdecken. Genau dafür braucht es die unabhängigen Verlage: Guggolz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Regionen auf der literarischen Landkarte sichtbar zu machen, die selten beachtet werden, und in Vergessenheit geratene Klassiker zu neuer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Mit der Auswahl »Humbug und Variationen« von Ion Luca Caragiale bleibt man dieser Linie treu, handelt es sich doch um den bedeutensten rumänischen Dramatiker, den sein berühmter Landsmann Eugène Ionesco einmal als größten Einfluss für sein absurdes Theater bezeichnet hatte. Im Gegensatz zu Ionesco, der das Unterdrückende und Totalitäre in den Mittelpunkt seines Schaffens stellte, findet sich das Absurde bei Caragiale in alltäglichen Begebenheiten und Dialogen. »Wir sind alle Rumänen, mehr oder weniger ehrenhaft«, sagt jemand in dem Stück »Der verlorene Brief«.

Caragiale, 1852 nahe Ploieşti geboren, konnte mit den völkischen Popularismen seiner Zeit nicht viel anfangen. Seine Vorfahren waren griechische Einwanderer gewesen, schon aus diesem Grund war ihm der Staat nichts Organisches, sondern etwas künstlich Geschaffenes. Seine Sympathie galt den Outsidern, den »Nichtbürgerlichen«, den Bettlern, Prostituierten, Trinkern, Juden und Roma, ohne dabei moralisch oder ideologisch zu werden. Seine Stücke spielen oftmals in den Bukarester Vororten und umliegenden Dörfern, sind aber allgemein-menschliche Komödien. Caragiale verfasste auch Gedichte, Novellen und Er­zählungen; in »Humbug und Variationen« finden sich hauptsächlich letztere. Es ist der Übersetzerin Eva Ruth Wemme zu verdanken, dass die situationsbedingte Ironie und der feine Humor seiner Dialoge auch im Deutschen zum Tragen kommt und diese im Original von Turzismen, Osmanismen, Gräzismen durchsetzten Texte ihre Spitzen behalten. Immer wieder zeigt sich auch in den skizzenhaften Erzählungen die große Empathie, die Caragiale seinen Figuren entgegenbringt. In einer beschreibt er die Bekanntschaft mit einem hochgebildeten, aber nationalistischen Ungarn. Nach vielen Diskussionen kommt der Erzähler zu dem Urteil: »Ich dachte: Herrgott, so ein anständiger Mensch, so intelligent und gebildet, mit so einem Manko (…) wie leicht wäre es für einen dummen ungebildeten Scharlatan, ihn an der Nase herumzuführen und ihn zu verhöhnen!«

Viele Zeitgenossen erkannten sich offenbar in Caragiales Geschichten wieder, was sowohl seine große Popularität erklärt, als auch die vielen Anfeindungen, denen er sich ausgesetzt sah. Als er 1902 ungerechtfertigterweise des Plagiats bezichtigt wurde, nahm ihn das derart mit, dass er zwei Jahre später ins Berliner Exil ging und mit Rumänien nichts mehr zu tun haben wollte. Er blieb dort bis zu seinem Tod 1912, bevor man ihn in einem Staatsakt in Bukarest beisetzte. Beschäftigt man sich mit Caragiales Biographie, dann scheint es, als stammte sie selbst aus seiner Feder. Er arbeitete als Souffleur, Theaterkopist, Korrektor und Theaterleiter, führte ab 1888 für kurze Zeit das heute nach ihm benannte Nationaltheater Bukarest (damals noch »Großes Theater von Bukarest«), war daneben auch Zeitungsredakteur, Lehrer, Schulinspektor und Gastwirt. Der Nachwelt hinterließ er jedoch das Bild eines bourgeoisen Bonvivant. Er war Teil der sozialen Widersprüchlichkeit, die er in seiner Literatur einfing und vielleicht sagt man deshalb, dass ihm eine prägende Bestandsaufnahme der rumänischen Gesellschaft gelungen sei.

Caragiale ist singbar, tanzbar, sprechbar, theatral, schreibt Eva Ruth Wemme im Nachwort, und so erscheint auch dieses Buch wie ein großartiger Tanz aus Worten. Elegant, sinnzerstäubend und voller Liebe zu seinen Protagonisten. In einem seiner letzten aphoristischen Texte heißt es: »Wo alle wichtigen Menschen Nichtsnutze sind, sind auch alle Nichtsnutze wichtige Menschen.« Etwas Schöneres kann man der Menschheit kaum hinterlassen.

Ion Luca Caragiale: Humbug und ­Variationen. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme, Mit Nachworten von Eva Ruth Wemme und Dana Grigorcea, Guggolz-Verlag, Berlin 2018, 431 Seiten, 24 Euro

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