16.12.2017 / Feuilleton / Seite 10

Der Pirat ohne Holzbein (1)

Wiglaf Droste

Der alte Pirat schlürte von Bord; sein Schiff hatte im Hafen angelegt, und er wollte, wie in jedem Hafen, zu seiner Braut. Da lief ihm ein kleiner Kerl in die Quere, ein Dreikäsehoch, und stieß ihn fast um. »Holla, du Wildfang, bleib mal ruhich. Oder ist einer hinter dir her?«

Er streichelte ihm über den Kopf. Der Dank kam prompt. Der Winzbengel biss ihn in so die Hand, dass es blutete. »Du  …« – was er dachte, sagte der Pirat nicht, weil er ein Kind vor sich hatte. Er nahm sein Halstuch ab und band es um seine Hand.

»Na denn mal tau, du Lausebengel«, brummte er und ging seiner Wege; er wollte ja zu seiner Braut, einer prachtvollen, üppigen Rothaarigen, wenn er sich richtig entsann, was allerdings nicht immer der Fall war. Der Pirat war Mitte 50, was für einen Piraten sehr alt ist, und er hinkte seit der letzten Seeschlacht ein wenig; die Knochen waren aber noch alle dran, und mit dem Entermesser vermochte er so elegant wie erfolgreich umzugehen – effizient eben, aber dieses Angeberwort hätte der Pirat lieber tausendmal ausgespien, als es auch nur einmal in den Mund zu nehmen.

Er ging die Mole entlang und freute sich auf sein Mädchen. Da zupfte ihn etwas von hinten an seinem Mantel. Er drehte sich um, und der kleine beißende Dreckschlüpper lächelte ihn an.

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