07.07.2017 / Schwerpunkt / Seite 3

Raven gegen die Repression

André Scheer

Gerechnet worden war mit etwa 2.000 bis 3.000 Menschen, es wurden deutlich mehr. Die Polizei sprach am Ende von 11.000, die Veranstalter zählten 20.000 und andere Augenzeugen mehr als 30.000 Teilnehmer der »Nachttanzdemo« gegen den G-20-Gipfel in Hamburg.

An den Landungsbrücken im Hafen der Hansestadt dröhnte am Mittwoch abend laute Techno-Musik, fliegende Händler boten Bier an. Touristen staunten, die Polizei wartete in den umliegenden Straßen. Dann setzte sich der zu Beginn noch überschaubare Zug unter dem Motto »Lieber tanz’ ich als G 20« in Bewegung und lief über die Hafenstraße in Richtung Fischmarkt. An den legendären Häusern, die in den 80er Jahren ein Symbol der linken Bewegung waren, hingen Transparente gegen den G-20-Gipfel, mit Leuchtkugeln wurden vom Dach aus Grüße an die Teilnehmer geschickt. Entlang der Straße standen Tausende, die sich den Zug anguckten. Viele von ihnen schlossen sich dem an die Frühzeit der »Loveparade« erinnernden Marsch an.

Zwar ging es einem Großteil der Teilnehmer sicherlich mehr um den Spaß am Tanzen, doch die Botschaft dieses Raves ging nicht unter. Es war die bislang größte Demonstration in Hamburg gegen die Unterdrückung der Protestcamps und der Bewegung gegen den G-20-Gipfel. Auf dem Dach eines Lastwagens mit großen Lautsprecherboxen waren zwei Zelte befestigt, auf Transparenten hieß es »Yes We Camp« und »DJs statt Despoten«. Die Polizei war sichtlich von den Dimensionen des Protests überrascht, ließ sich nur mit ihrem »Kommunikationsteam« blicken. Auch als die Menge immer größer wurde und auf der Budapester Straße bis auf die von der Polizei nicht gesperrte Gegenfahrbahn überschwappte, blieben die Beamten ruhig.

Zu Gewalt durch die Polizei kam es erst nach Ende der Musikdemonstration. Ohne erkennbaren Anlass gingen die »Sicherheitskräfte« mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen noch rund 1.000 Menschen vor. Zuvor hatte der Verkehrsverbund die umliegenden U-Bahn-Stationen geschlossen, so dass die Betroffenen gar nicht nach Hause fahren konnten.

Offenkundig verfolgt Hamburgs Obrigkeit derzeit die Strategie, am Tag die Proteste einigermaßen zu tolerieren, im Schutz der Dunkelheit jedoch zuzuschlagen. Das stößt inzwischen sogar bei den Mainstreammedien auf Empörung. So kommentierte am Mittwoch das ARD-Politikmagazin »Panorama«: »Es fällt zur Zeit wirklich schwer, nicht an eine Verschwörung zu glauben: Einen geheimen Plan der Hamburger Polizei, um die Stadt in rauchende Trümmer zu verwandeln.« Das Vorgehen der Behörden, Camps zu genehmigen, in ihnen aber das Schlafen zu untersagen, erinnere an »nordkoreanische Rechtsinterpretation«, schrieb Volker Steinhoff auf der Homepage der Sendung. (scha)

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