15.02.2017 / Feuilleton / Seite 11

Weiß, Pozner

Jegor Jublimov

Mehr als 180 Filme aus 44 Jahren Dokumentarfilmschaffen in der DDR präsentiert das Berliner Kino Babylon seit 9. Februar und kann mit der Reihe bis 9. März zwar einen Überblick verschaffen, aber die ganze Vielfalt des DEFA-Dokumentarfilms doch nicht erfassen. Unter den Regisseuren fehlt beispielsweise Konrad Weiß, der am Freitag 75 Jahre alt wird. Der Schlesier, der in Genthin aufwuchs, begann eine kirchliche Ausbildung, bevor er ab 1965 an der Babelsberger Filmhochschule bei Karl Gass studierte, dem er viel zu verdanken hat.

Ab 1969 drehte Weiß bei der DEFA 20 Jahre lang Dokumentarfilme, die durch Originalität, Witz, und genaue Alltagsimpressionen auffielen – besonders für ein jugendliches Publikum. Für Kinder gestaltete er zahlreiche DFF-»Abendgrüße«. Weiß textete Songs für Interpreten wie Barbara Thalheim und Jürgen Walter und schrieb regelmäßig für Die Weltbühne, über die er 1985 auch einen Film begann, der allerdings nie fertiggestellt wurde. Nach Filmen mit antifaschistischer Thematik recherchierte Weiß in den 80er Jahren zur neofaschistischen Subkultur in der DDR. Ab 1989 engagierte er sich in der Bürgerbewegung am Runden Tisch, saß für Bündnis 90 in der Volkskammer und bis 1994 im Bundestag. Leider ließ ihn im Verhältnis zur PDS seine sonst bekannte Toleranz im Stich.

Ebenfalls aus der Schule von Karl Gass stammt Gitta Nickel, die 1984 den Porträtfilm »Damit man sich auf uns berufen kann – Vladimir Pozner« drehte (läuft leider auch nicht im Babylon). Als Sohn antizaristisch eingestellter russischer Juden im Pariser Exil geboren, wuchs Pozner nach einer Amnestie in Petersburg auf, wo er als Zwölfjähriger die Oktoberrevolution miterlebte. Er war eng mit Gorki bekannt.

1921 kehrte Pozner für ein Studium an der Sorbonne nach Paris zurück, das sein Lebensmittelpunkt blieb. Als Journalist engagierte er sich ab 1933 für Flüchtlinge aus Deutschland, lernte dabei seine deutsche Frau Ida kennen. In sein literarisches Werk flossen Erfahrungen ein, die er am Ende des Spanien-Krieges machte.

Als die Deutschen Frankreich besetzten, konnten die Pozners in die USA fliehen, wo Volodja, wie er genannt wurde, an Filmszenarien mitarbeitete, die ihm eine Oscar-Nominierung einbrachten. Nach dem Krieg zurück in Europa, reiste Pozner oft zu Brecht und arbeitete bei der DEFA an Dokumentarfilmen (darunter auch seine einzige Regiearbeit). Er blieb bis ans Lebensende ein Freund der Leipziger Dokumentarfilmwoche und starb am Sonntag vor 25 Jahren in Paris.

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