15.04.2013 / 0

Rundgang durch eine wählende Stadt

Claudia Schröppel und André Scheer, Caracas

Vor wenigen Minuten, um 18 Uhr Ortszeit, endete offiziell die Öffnungszeit der Wahllokale in Venezuela. Tatsächlich abgeschlossen wird die Abstimmung allerdings erst, wenn niemand mehr in den Schlangen darauf wartet, seine Stimme abgeben zu können.

Bereits am Nachmittag hatte sich erneut eine hohe Beteiligung abgezeichnet. Während in den Oppositionsvierteln teilweise gespenstische Ruhe herrschte, waren die Chavistas schon in Hochstimmung. Viele hatten an ihren „Puntos Rojos“, den Informationsständen, zwar – wie gesetzlich vorgeschrieben – die Wahlplakate abgenommen, hielten sie aber weiter geöffnet. Die Wahlkampflieder wurden nur ein wenig leiser gedreht, und die Anhänger von Nicolás Maduro kümmern sich darum, daß auch wirklich möglichst viele der Nachbarn zur Wahl gehen.

In einer Schule nahe der Metrostation Capuchinos nutzten wir die Möglichkeit, ein Wahllokal zu besuchen. Hier standen nur noch wenige Personen an, um ihre Stimme abzugeben. Die für die Sicherheit zuständigen Militärs wirkten locker und guter Dinge, Zwischenfälle hatte es hier nicht gegeben. Auch landesweit konnte der Nationale Wahlrat (CNE) über einen weitgehend ruhigen Verlauf berichten.

Auf unserem weiteren Weg fiel uns ein Neubau ins Auge, das wir im Oktober, während der letzten Präsidentschaftswahl, noch als halbfertige Baustelle gesehen hatten. Auch vor diesem Hochhaus steht ein Infopunkt. Isabel, eine junge Bewohnerin des neuen Hauses, gab uns bereitwillig Auskunft. Sie wohnt seit fünf Monaten hier, nachdem sie ihre bisherige Wohnung bei einem Unwetter verloren und seither in einer Notunterkunft gelebt hatte. Sie profitiert nun von der Misión Vivienda, dem Wohnungsbauprogramm der venezolanischen Regierung, in deren Rahmen allein im vergangenen Jahr 200.080 neue Wohnungen geschaffen worden sind.

Wir sprachen Isabel auf einen Wahlspot des Oppositionskandidaten Henrique Capriles Radonski an. In diesem Kurzfilm war behauptet worden, die neuen Wohnungen würden nur an die „Amiguitos de siempre“ vergeben, an die „immer selben Freunde“, Parteigänger der PSUV. Isabel weist das empört zurück. Bei der Vergabe der Unterkünfte sei nicht nach politischen Präferenzen gefragt worden, es sei nur um die Dringlichkeit gegangen.

Im ersten Jahr wohnen alle Bewohner kostenfrei in ihrer neuen Wohnung. Anschließend soll die Miete nach der Familiengröße festgelegt werden, so daß niemand seine neue Unterkunft aus finanziellen Gründen wieder aufgeben muß.

Isabel und ihre Nachbarn machen kein Geheimnis daraus, daß sie für Nicolás Maduro gestimmt haben, und zeigen stolz den blauen Finger in die Kamera. Die Färbung beweist, daß sie zur Abstimmung gegangen sind, denn nach der Stimmabgabe muß jeder Wähler den Finger in ein Tintenfaß tauchen – eine weitere Maßnahme, um doppelte Stimmabgabe zu verhindern.

Als bereits gegen 17.30 Uhr ein Motorrad- und Autokorso laut hupend auf der Straße an ihnen vorbeifährt, winken sie begeistert zurück. Hier ist man sich sicher, daß Nicolás Maduro die Wahl klar für sich entscheiden wird.

https://www.jungewelt.de/blogs/entscheidung-in-venezuela/302070