06.11.2010 / 0

»Das Treckerfahren habe ich schon mit 16 gelernt«

Max Eckart

Dannenberg. Gregor Gysi ist der erste. Der Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag kommt schon um kurz vor zehn Uhr zum Treffpunkt der Bäuerlichen Notgemeinschaft in Klein Gusborn. Die Landwirte aus dem Wendland - alle kritsch gegenüber der Atomkraft - haben Prominente aus Politik und Kultur eingeladen, sie auf der Treckerfahrt zur großen Kundgebung gegen den Castor-Transport zu begleiten.

Auf der matschigen Wiese schimpft Gysi erstmal kräftig über die Atompolitik der Bundesregierung. Es sei unverantwortlich, eine nicht beherrschte Technik weiter auszubauen. »Und unverschämt, Niedersachsen zum Atomklo der Bundesrepublik zu machen«. Am liebsten würde Gysi gleich auf einen Trecker steigen und lostuckern. »Ich war Facharbeiter für Rinderzucht«, erklärt er. »Das  Treckerfahren habe ich schon mit 16 gelernt.«

Auch Claudia Roth hat damit schon früh Erfahrungen gesammelt. »Ich komme schließlich aus  Bayern«, sagt die Vorsitzende der Grünen. Der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin kennt sich mit Landmaschinen dagegen nicht so gut aus. Er sei wohl irgendwann mal auf einem Trecker mitgefahren, aber nicht wirklich in Übung. Trittin hat keinen Führerschein.

Die Grünen nutzen ebenfalls die Gelegenheit, die Regierung zu schelten. Es sei »zynisch und eine  Provokation der Bevölkerung, daß die Laufzeiten der Atomkraftwerke weiter verlängert werden und das Endlager Gorleben weiter gebaut wird«, sagt Roth. Gorleben sei »ein illegaler Schwarzbau«. Die Endlagersuche müsse neu begonnen werden, Gorleben dabei  außen vor bleiben. »Der Standort ist schon politisch verbrannt.«

Inzwischen ist Landwirt Carsten Niemann auf einen Traktor geklettert. Er formt die Hände vor dem Mund zu einem Trichter und erläutert das weitere Vorgehen. Jedem »Promi« haben die Bauern einen aus ihrer Mitte als Fahrer zugelost. Vor dem Start sollen Chauffeur und Fahrgast vor einem Anti-Atom-Transparent für ein Foto posieren. Neben Spitzen-Politikern von Grünen und Linken treten auch die Buch-Autorinnen Petra Oelker und Charlotte Roche nach vorn, nachdem Landwirt Niemann sie aufgerufen hat. Der Sänger und Schlagzeuger Bela B, der ebenfalls einen Treckerplatz gebucht hat, »steckt noch im Stau«, ruft jemand aus der Menge. Der Grünen-Co-Vorsitzende Cem
Özdemir will seinen Fahrer nach dem Foto gar nicht mehr loslassen. »Wir verstehen uns jetzt schon prächtig«, sagt er.

Gegen elf Uhr setzt sich der Konvoi in Richtung Dannenberg in Bewegung. Vorne kurven ein paar Mini-Trecker und Rasenmäher, dann folgt der kilometerlange Zug der großen Schlepper. Alle Fahrzeuge sind mit Anti-Atom-Fahnen, dem grün-orangefarbenen Banner der »Republik Freies Wendland« oder Transparenten geschmückt. Etliche Bauern haben auch große gelbe »X«, das Widerstandsymbol der wendländischen Atomkraftgegner, auf die Ladeschaufeln ihrer Traktoren montiert. Wieviele Trecker insgesamt zur Kundgebung rollen, weiß Monika Tietke am Mittag noch nicht genau. Es seien aber hunderte, versichert die Sprecherin der Bäuerlichen Notgemeinschaft.
Von Uelzen und Lüneburg seien weitere Konvois unterwegs. Endgültige Zahlen gebe es erst am späten Nachmittag.

Die Landwirte möchten auf jeden Fall das Ergebnis von 2008 übertreffen. Da waren rund 350 Traktoren dabei. Den Rekord halten bislang die Castor-Proteste von 1997. Damals waren die Landwirte mit etwa 550 Schleppern dabei.

Am Kundgebungsgelände östlich von Dannenberg parken die Traktoren dicht an dicht in Doppel- und Dreierreihen. Eine bunte und aus Sicht der Polizei auch bedrohliche Armada. Die Einsatzleitung hatte Mitte der Woche das an die Castorstrecke grenzende Camp der Notgemeinschaft in Gusborn verboten, weil von dort Trecker zu Blockadeaktionen gegen den Atommülltransport starten könnten. Das Lüneburger Verwaltungsgericht kassierte das Verbot allerdings wieder. An diesem Samstag bleiben die Traktoren zunächst auf den für sie reservierten Parkplätzen.

(dapd/jW)

https://www.jungewelt.de/blogs/castorproteste-2010/301574