30.06.2010 / 0

Ein Schiff wird kommen

Und zwar von der Ostsee: Die Künstler der »Antörntour« der jungen Welt

Am liebsten wäre diese Zeitung ein Piratenschiff. So wie in Monty Pythons letztem Film »Sinn des Lebens« ein Bürohaus, das mitten in der Stadt die Leinen losmacht, die Segel setzt und ab dafür – gegen Kapitalismus, Lügen und Fron. Surfen im Mediendschungel, nicht internetzig-individuell, sondern als Kollektiv sozialistischer Freibeuter.

Aber Achtung: Ein Schiff wird kommen und zwar vollkommen in echt, im Jetzt und Hier, im Heute und Morgen! Gewissermaßen als Vorschein der Utopie kreuzt zur Zeit die »Albin Köbis« auf der »Antörntour« der jungen Welt auf der Ostsee herum.

Piratenschiffe müssen schnell und leicht sein, sie müssen immer nahe an der Küste segeln – für blitzartige Beutezüge an Land. Die »Albin Köbis« taucht regelmäßig an Land auf, doch sie verbreitet nicht Angst und Schrecken, sondern Poesie und Freundlichkeit, um die Menschen zu aus ihren alltäglichen Verlegenheiten zu befreien.

Bei der jW schwärmen Künstler aus an Land und geben Konzerte zur Bewußtseinshebung und Unterhaltungssteigerung, denn »die Spinner sterben aus, mein Schatz, die sanften Wolkenschieber, die Leser aus dem Kaffeesatz, die Don Juans im Fieber«, wie der Liedermacher Frank Viehweg singt. Piratentum für die Seele, Viehweg macht »Liebeslieder nach 12«. Er vertonte und dichtete schon Shakespeare, Silvio Rodriguez oder Wladimir Wyssozki nach. »Viehweg ist ein Mutmacher, ein zornig Liebender im Krieg, der zwischen den Geschlechtern, zwischen den Generationen, zwischen Oben und Unten tobt. Er ist ein Mann, der nach Hoffnung sucht und sie weitergibt, wann immer er sie findet«, schrieb Henry Martin Klemt über ihn.

Die Sängerin, Schauspielerin und Gesangslehrerin Isabel Neuenfeldt operiert mit dem Akkordeon, »das mir zur Jahrtausendwende in die Hände fiel« wie die alte Piratenkönigin Grace O’Malley mit dem Säbel: kräftig, gefährlich und entrückend. »Zusammen sind wir mobil und nicht so viele«, sagt Neuenfeldt, aber holla, es geht in die Tiefe der Chansons, auf deutsch, französisch, englisch. Neuenfeldt singt ebenso Tom Waits wie Erich Mühsam, Serge Gainsbourg oder Edith Piaf. Das Akkordeon ist ihr Medium der Konkretion wie der Transzendenz.

Die Lieder von Thomas Putensen nennen die einen Songs, die anderen Chansons – auf jeden Fall sind es Gesänge. Zarte und nicht so zarte Gesänge aus wilden Gefilden. Sie handeln von kaputten Radiomoderatoren und Navigatoren im Raumschiff Welt, von geklonten Genies und ausgeflippten Rentnern, vom allgegenwärtigen Shoppingwahnsinn und alltäglichen Medienblödsinn – eben davon, wie das Leben wirklich spielt. Die Lieder und Etüden entstanden erstmals in Zusammenarbeit mit dem Texter Ed Stuhler.

Thomas Putensen spielte unter anderem im DEFA Kultfilm »Ete und Ali« (1984) an der Seite von Jörg Schüttauf eine der beiden Hauptrollen, war eine Zeitlang auch Moderator im Kinderfernsehen der DDR. Er wuchtete schon mal ein Klavier in »Wetten daß«, komponierte Filmmusiken und arbeitete als Pianist an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Er war unterwegs mit der Panzerkreuzer Putensen Band, jetzt leitet er das Putensen Beat Ensemble und spielt das Programm »Broken Heart auf Kaffeefahrt«. Für Piraten und Landratten – er kapert am liebsten sofort das Herz. (jW)

Donnerstag, Wismar, 20 Uhr, Konzert mit Frank Viehweg, Technologie- und Gewerbezentrum; 3.7. Rostock-Warnemünde, 20 Uhr, Frank Viehweg, Peter Weiss Haus; 4.7. Rostock, ca. 15 Uhr, Thomas Putensen, Stadthafen; 9.7.Greifswald, 19 Uhr, Isabel Neuenfeldt u.a., St. Spiritus; 10.7. Stralsund, 19Uhr, Thomas Putensen, Kulturkirche St. Jakobi

https://www.jungewelt.de/blogs/ostsee/301519