Am Sonntag schloß die internationale Buchmesse Havanna ihre Tore. Das nächste Gastland heißt Rußland
Die Linke weltweit träumt von Kuba, Kuba träumt von der Welt. Die
literarische war vom 12. bis 22. Februar auf der 18. »Feria
Internacional del libro« zu Gast und löste wieder eine Völkerwanderung
zum Veranstaltungsort, der historischen Hafenfestung La Cabaña, aus.
Eine halbe Million Besucherinnen und Besucher wurde gezählt. Für drei
Peso der Moneda Nacional, der regulären Landeswährung im Schatten des
Dollar-Äquivalents CUC, erhielt man Zutritt zu den Messeständen,
Buchhandlungen, Lesungen, Filmvorführungen, Konzerten – und zu einem
beachtlichen kulinarischen Angebot, das größtenteils ebenfalls für den
alten Peso erhältlich war.
Es war ein Volksfest der Literatur.
Und gleichzeitig eine Volksuniversität mit massenhaft Symposien und
Vorträgen zu einem breiten Spektrum an Themen aus Kunst, Politik und
Wissenschaft. Die »Feria del libro« geht weiter. In fünfzehn anderen
Städten wird sie bis zu ihrem Abschluß am 8. März in Santiago de Cuba
mit ihren mehr als tausend Neuerscheinungen Station machen.
In
Havanna fiel der hohe Anteil chinesischer Gäste auf. Fast 2000 Chinesen
lernen und studieren zur Zeit an kubanischen Bildungseinrichtungen.
Angesichts ihrer starken Präsenz auf der Messe könnte man meinen, daß
die zahlreichen gebrauchten Yutong-Busse aus dem Reich der Mitte, die
im katastrophalen Nahverkehr auf Havannas Straßen röhren, vollbesetzt
geliefert wurden.
Auf der Messe wurde selbstverständlich das
50. Jubiläum der Revolution von 1959 herzlich gewürdigt. Geehrt wurde
mit der Casa de las Américas ein echtes Kind dieses Epochenwechsels:
Das literaturwissenschaftliche Forschungszentrum, das die
lateinamerikanische Literatur und Philosophie insgesamt mitprägte,
kann 2009 ebenfalls auf fünf Jahrzehnte seines Bestehens zurückblicken.
Chile, Chile, Chile. An allen Ecken und Enden der Messe wurde das
diesjährige Gastland der Buchmesse präsentiert. Die zentrale
Ausstellung »Eine Umarmung zwischen zwei Völkern« erinnerte mit Fotos,
Texten und historischen Film- und Fernsehaufzeichnungen an die
gewachsene Verbundenheit Kubas mit dem Chile der Unidad Popular.
Künstler dieser Epoche, wie der Dichter Pablo Neruda, die Sängerin
Violeta Parra oder der Liedermacher der chilenischen Volksfront, Victor
Jara, wurden vorgestellt. Erstmals seit dem sozialistischen Präsidenten
Salvador Allende stattete mit Michelle Bachelet auch ein
Staatsoberhaupt des Andenstaates Kuba wieder einen Besuch ab. Im
kommenden Jahr wird Rußland das Ehrengastland der Buchmesse sein. Dies
kann als ein konkreter Ausdruck der Wiederannäherung zwischen beiden
Ländern gesehen werden.
Die deutsche Beteiligung in diesem
Jahr ruhte auf drei Säulen. Neben der offiziösen Präsenz der
Frankfurter Buchmesse und der von ihr repräsentierten Verlage waren die
profilierte Solidaritätsorganisation der Linkspartei, Cuba Sí, sowie das
Berliner Büro Buchmesse Havanna hier vertreten. Letzteres war gegründet
worden, um den zeitweiligen Boykott der Veranstaltung durch die
Bundesregierung ins Leere laufen zu lassen. Nachdem dies geglückt war,
wird der Messeauftritt nun stärker thematisch ausgerichtet. In diesem
Jahr wurden die Integrationsprozesse in Lateinamerika und der EU unter
die Lupe genommen. Unter dem Dach des Berliner Büros tritt auch die
junge Welt in Havanna in Erscheinung. Während deutsche
Botschaftsangehörige unter Kubas Intellektuellen nach Dissidenten
Ausschau hielten, wurden 18000 Exemplare dissidenter Lektüre aus der
Bundesrepublik an die Besucherinnen und Besucher gebracht: eine
jW-Sonderausgabe in spanischer Sprache. Über weitere Aktivitäten und
vor allem über Eindrücke der widersprüchlichen Realität des heutigen
Kuba wurde in einem Internet-Blog direkt aus Havanna berichtet (http:
www.jungewelt.de/feria2009).
Die Krise der Neunziger liegt zurück, Errungenschaften konnten bewahrt
werden, Bewundernswertes wird geleistet. Der Patriotismus der Kubaner
scheint ungebrochen. Doch das Auseinanderklaffen von gesellschaftlichem
Anspruch und Realität infolge der ökonomischen Implosion nach dem
Zerfall des sozialistischen Lagers hält bereits eine Generation lang
an. Die Hurrikans im vorigen Herbst mit ihren Milliardenschäden haben
die wirtschaftliche Entwicklung zurückgeworfen. Trotz einer
Grundversorgung über Bezugsscheine (libretas) reichen die Gehälter, die
außerhalb des Tourismus und angrenzender Bereiche gezahlt werden, bei
weitem nicht aus. Vor allem in Havanna bestimmt das CUC-Geld das Leben.
Viel Notwendiges und fast alles Angenehme ist nur in den Devisenläden
erhältlich. Kuba ist auf dieses System angewiesen, um dringend
benötigte Waren zu importieren. Gut qualifizierte Leute verlassen
weiterhin das Land, in erster Linie aus ökonomischen Gründen.
Mit einem pragmatischen Herangehen an die Probleme versucht die
Regierung von Raúl Castro, die Wirtschaft weiter zu stabilisieren und
ihre Produktivität zu erhöhen. Eine Schlüsselrolle für die Entwicklung
vorhandener Potentiale kommt der Integration in den
lateinamerikanischen Handel zu.