07.06.2007 / 0

»Wir waren nur Nummern«

Interview: Peter Steiniger

Anreisende G8-Kritiker wurden unter fadenscheinigen Vorwänden busweise eingesperrt. Ein Gespräch mit dem Berliner Elektriker Klaus Döweland, der am Dienstag in die Gefangenensammelstelle in der Industriestraße in Rostock verbracht wurde.

Warum wollten Sie an den Protestaktionen gegen die G8 teilnehmen?

Ich wollte mich als Einzelperson den  Blockaden anschließen, um etwas gegen diese Kriegstreiber zu tun. Deshalb bin ich zum Camp Reddelich gefahren. Dort waren Busse organisiert worden, um am Dienstag Demonstranten zu den Aktionen am Flughafen Rostock-Laage während der Ankunft von US-Präsident Bush zu bringen. Da habe ich mich spontan mit angestellt und habe noch einen Platz bekommen.

Sind Sie Mitglied einer Partei oder einer anderen politischen Gruppe? Woher kommen Sie und was für einen Beruf üben Sie aus?

Ich lebe in Berlin und bin nicht politisch organisiert. Von Beruf bin ich Elektriker. Zuletzt habe ich als EDV-Techniker gearbeitet. Seit anderthalb Jahren bin ich erwerbslos.

Aus der beabsichtigten Teilnahme an den Kundgebungen am Flughafen Laage wurde nichts. Weshalb?

Unsere Fahrt endete an der Ausfahrt nach Rostock-Laage. Bereits auf der Autobahn wurde unser Bus von vorn und hinten durch Polizeifahrzeuge eskortiert. Man hat uns auf eine alte Baustellenzufahrt herausgewunken. Das war etwa gegen 16 Uhr. Dort mußten wir erst eine Weile warten, bis wir einzeln zum Aussteigen aufgefordert wurden. Wir hatten unser Hab und Gut auszubreiten und wurden erkennungsdienstlich behandelt - an Ort und Stelle an den Bus gestellt und fotografiert.

Um wie viele Personen handelte es sich? Mit was für Leuten waren Sie unterwegs und wie hat die Polizei ihr Vorgehen begründet?

Wir waren insgesamt 57 Personen - aus unserem Reisebus sowie einem Kleinbus, der sich uns während der Fahrt angeschlossen hatte. Im wesentlichen Einzelpersonen, nur wenige kannten sich. Auch ein paar Jugendliche waren dabei. Alles ganz normale Leute eben. Es wäre mir schon aufgefallen, wenn da jemand nach dem »harten Kern« ausgesehen hätte.
Die Beamten stellten uns erst einmal mit der Aussage ruhig, es würde sich um eine Demo-Vorkontrolle handeln.

Was geschah dann?

Unsere Gruppe wurde in ein aus Polizeifahrzeugen gebildetes Viereck, das von Beamten umzingelt war, gewissermaßen eingepfercht. Wir mußten dort eine Dreiviertelstunde im strömenden Regen ausharren. Nach etwa 15 Minuten war die Polizei so gnädig, wenigstens eine Frau mit einem Kleinkind ins Trockene zu lassen. 

Zu welchem Ergebnis führte die Überprüfung durch die Polizei?

Eigentlich zu gar keinem. Jemand hatte zwei Walkie Talkies dabei. Das wurde ein bißchen aufgebauscht. Man hat sie ihm erst abgenommen, etwas später aber wieder herausgegeben. Gefährliche Gegenstände wurden bei uns nicht gefunden. Dann kamen die Polizisten mit einer neuen Erklärung: Im Bus wären Vermummte dabei gewesen. Was nicht stimmte.

Welche Konsequenzen zogen die Beamten nach den Kontrollen?

Man hat uns alle, auch die Frau und das kleine Kind, in Gefangenentransporter verfrachtet. Damit wurden wir nach Rostock zur Industriestraße gefahren. Dort wurden wir in einer Art Gefangenensammelstelle, die sich in einer ehemaligen Fabrikhalle befindet, von der Polizei in Empfang genommen. Wir wurden erneut fotografiert und die neuen Bilder wurden mit denen verglichen, die schon am Bus gemacht worden waren. Das landet sicher in irgendeiner Datenbank. Fingerabdrücke hat man seltsamerweise aber nicht genommen.

Gab es eine konkrete Anschuldigung gegen Sie persönlich?

Zunächst nicht. Wir wurden einzeln in ein Vernehmungszimmer geführt. Der Beamte dort trug Zivil und wollte von mir wissen, ob ich irgendeiner Gruppe angehöre oder mich zugehörig fühle. Zumindest bei mir wollte er wohl so eine Art Gesinnungsprüfung machen. Er fragte mich und fragte mich nochmal. Da habe ich zurückgefragt, ob ich rechtlich verpflichtet sei, darauf zu antworten. Das hat er verneint und schließlich die Befragung abgebrochen.

Wie waren die Bedingungen in der Sammelstelle?

Soviel ich sehen konnte, waren in diesem Komplex 16 Zellen eingerichtet worden. Das waren Gemeinschaftszellen, zirka sechs mal sechs Meter groß, und ungefähr 2,50 Meter hoch. Ringsherum war kleinmaschiger Gitterdraht, darüber waren Gumminetze gespannt. Sitz- oder Liegemöglichkeiten gab es keine. In der Zelle, in die ich kam, gab es einen versifften Bodenbelag, in den anderen nur den blanken Fabrikboden.

Wurden Sie verpflegt?

In meiner Zelle waren wir 15 Leute. Man mußte bei den Wärtern grundsätzlich alles einklagen. Um Isomatten und Decken – wir hatten ja alle durchnässte Klamotten – mußten wir fast betteln, etwas zum Trinken lautstark einfordern. Alles ging schleppend. Wenn jemand etwas wollte, auf die Toilette usw., dann wurde immer nur einer bedient. Etwas zu essen mußten wir auch einklagen. An unsere Vegetarier oder an Menschen, die kein Schweinefleisch essen, hatte man natürlich nicht gedacht. Irgendwann haben sie dann Bananen besorgt. Da fühlten wir uns dann wirklich wie die Affen im Käfig ...

Wie sind die Beamten sonst mit Ihnen umgegangen?

Wir hatten sogenannte Begleitnummern erhalten. Die Polizisten haben uns mit diesen Nummern angesprochen. Einige Mitgefangene haben sich das leider auch gefallen lassen. Offensichtlich waren viele das erste Mal mit so etwas konfrontiert. Bei mir haben sie es nicht mehr gewagt, nachdem ich darauf nicht reagiert und mich lautstark aufgeregt hatte.
Sehr unterschiedlich war der Umgang mit unserem Recht zu telefonieren. Ich konnte problemlos mein Rechtsanwaltsgespräch und ein Privatgespräch führen. Anderen wurde das verweigert. Besonders betroffen waren die Ausländer unter uns. Und lange war kein einziger Beamter aufzutreiben, der eine Fremdsprache beherrscht, nicht einmal Englisch.

Wann wurden Sie mit einer konkreten Anschuldigung konfrontiert?

Um 20 Uhr sind wir eingeliefert worden. Ungefähr ab 23 Uhr wurden wir dann alle dem Staatsanwalt vorgeführt, schubweise. Der kam mir dann mit dieser ominösen Vermummungsstory. Ich hätte in einem Bus mit Vermummten gesessen. Dadurch sei ich als jemand aufgefallen, bei dem anzunehmen sei, daß er zu Straftaten beitragen könne. Das war alles.
Als die Rechtsanwälte vom Legal Team eintrafen, entstand viel Aufregung unter den Beamten und es dauerte noch etwas, bis wir einem Richter vorgeführt wurden. Einige mit, einige ohne Anwalt.

Zu welcher Entscheidung kam der Richter?

Der Richter wirkte von den Ausführungen des Staatsanwaltes wenig angetan. Er wird sich wohl auch gedacht haben: Wegen so einem Müll holen die mich nachts aus dem Bett. Der Beschluß war ganz klar: Mir ist keine Beteiligung an einer Straftat nachzuweisen, es gäbe »keine ersichtlichen Gründe für eine Gewahrsamnahme«. Mittlerweile war es gegen zwei Uhr morgens. Drei Uhr sollte ich entlassen werden und bekam einen Schein in die Hand gedrückt, daß ich jetzt aus der Stadt Rostock und dem Landkreis Bad Doberan ausgewiesen sei. Die dort gesetzte Frist zum Verlassen – zwei Uhr - war allerdings bereits überschritten. Ich habe mich geweigert, die Entlassung anzunehmen. Ich mache denen doch nicht den Affen – gehe vorn raus und werde hinten wieder reingesteckt. Das haben sie dann widerwillig geändert. Wir sind dann nach und nach entlassen worden. Soviel ich weiß, war gegen 4 Uhr die Hälfte von uns wieder frei. Ob alle wieder raus kamen, weiß ich nicht. Ich bin dann zum Camp, dort wurden wir von einer kleinen Delegation in Empfang genommen und mit Kaffee und Kuchen verpflegt. Nach meiner Rückkehr nach Berlin bin ich dann direkt zur jungen Welt gegangen.

Was glauben Sie, was die Polizei mit Ihrem Vorgehen bezweckte?

Ich weiß es nicht genau. Zum einen wollten sie uns wohl davon abhalten zu demonstrieren. Gleichzeitig kam es mir so vor, als hätten sie mit uns einen Probelauf für die kommenden Tage gemacht.

Das Gespräch wurde am Mittwoch nachmittag geführt. Anmerkung: Der Anwältliche Notdienst berichtete jW, daß schon mehrfach Busse von der Polizei gestoppt und sämtliche Insassen von der Polizei festgehalten und verwiesen worden seien. »Was hier an Platzverweisen von der Polizei ausgesprochen wird, ist vollkommen willkürlich«, so Rechtsanwalt Carsten Gericke. Das Verwaltungsgericht Schwerin habe bereits etliche dieser Platzverweise als rechtswidrig aufgehoben. 

https://www.jungewelt.de/blogs/g8/301217