30.07.2016 / Feuilleton / Seite 11

Reli und gion

Wiglaf Droste

In der Schule hieß der Religionsunterricht »Reli«, ausgesprochen wie »Rallye« in »Rallye Monte Carlo«; das war nicht abwertend gemeint, nur abkürzend, so wie Mathematik »Mathe« hieß und Erdkunde »Erde«. Meine Essener Freundin Claudia spricht das Wort Religion noch als Erwachsene »Regjon« aus, auch das ist nicht herabsetzend, sondern nur Ausdruck ihrer regionalen Mundart. In Zeiten des multipel anschwellenden religiösen Fanatismus erscheint mir die Verkürzung der Religion zur Regjon geradezu zivilisatorische Kraft zu entfalten; wer bringt schon jemanden wegen etwas Niedlichem wie Regjon um? Außerdem spricht sich das Wort mit jener rechthabereifreien Eleganz der Absichtslosigkeit, die Millionen von Netzwerkern, Intriganten, Verschwörungsmuftis, Eine-Hand-wäscht-die-andere-Mischmaschinisten, Sprengköpfen und Mordbubis auf das schönste eindimensional gemein, größenwahnsinnig, irrsinnig und unrettbar vernagelt aussehen lässt, was sie ja auch sind.

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