14.05.2016 / Schwerpunkt / Seite 3

Gerüchteküche: Wer hat was davon?

Wer seine »Top-Quelle« ist, die ihm die Sache mit dem »unmittelbar« bevorstehenden Rücktritt des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gesteckt hat, will Focus-Herausgeber Helmut Markwort für sich behalten. »Den Namen nehme ich mit ins Grab.« Das ist edel, gerade auch deshalb, weil sein Informant ihm womöglich übel mitgespielt hat. »Ich kann nicht ausschließen, dass dieser Rücktrittsplan zerstört werden sollte«, befand Markwort am Montag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). An eben diesem Tag hätte der Stabwechsel an Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz vonstatten gehen sollen – nach der Version seiner »tief« in der SPD »verwurzelten« Kontaktperson.

Es kam anders. Gabriel dementierte, alle führenden Köpfe in der Partei demonstrierten den Schulterschluss und applaudierten ihrem Chef zu dessen Hauruckrede in Berlin. Dass sich der Focus-Vormann alles nur ausgedacht hat, lässt sich ausschließen. Wer macht sich schon gerne zum Kasper? Dass ein Gabriel-Getreuer mit seinem Tipp einen Putsch in letzter Sekunde vereitelt hat, ist eine Möglichkeit neben weiteren. Wurde das Gerücht nur gestreut, um Gabriels Auftritt beim SPD-Wertekongress die maximale mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen? Wohl kaum, eher ging seine Ansprache in all dem Wirbel unter.

Wahrscheinlicher ist diese Variante: Die Machtübergabe war beschlossene Sache im Führungszirkel – mit Gabriels Segen. Wegen des Gerüchts blies man den Coup dann kurzerhand ab, um nicht als Getriebene dazustehen und das Heft des Handelns zu behalten. Zumal genau am selben Tag Österreichs SPÖ- und Regierungschef Werner Faymann das Handtuch warf und beide Ämter niederlegte. Man stelle sich die Schlagzeile vor, hätte es ihm Gabriel gleichgetan: »Europas Sozialdemokratie: ein Scherbenhaufen.« Wobei es das auch so ganz gut trifft. (rwu)

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