18.05.2016 / Ausland / Seite 1 (Beilage)

Investoren und Invasoren

Wer ermordet Afrikas hungernde Kinder? Wer lässt auf Arbeiter schießen? Und wer zettelt die Kriege an? Während Konzerne den Kontinent ausplündern und der Westen seine Militärpräsenz verstärkt, bietet das Erstarken Chinas zumindest eine Alternative

Christian Selz

Nachrichten aus Afrika brauchen Symbolik. Wenn fiese Spekulanten in Kenia Schulkindern ihren Spielplatz wegnehmen, dann zeigt das die Gier der korrupten Eliten vor Ort. Wenn deren Geschwister aber vor Erreichen des fünften Lebensjahres an vermeidbaren Krankheiten oder Mangelernährung sterben, bekommt das kaum jemand mit. 36 von 1.000 neugeborenen Kenianern erleben ihren ersten Geburtstag nicht, sie enden als Zahlen in einer Statistik. Und selbst die besteht nur aus Schätzwerten, die das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), die UN-Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten (UNDESA), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Weltbank in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe für jeweils fünf Jahre gebündelt ermitteln.

Den Verbrechen, auf denen diese Sterblichkeitstabellen beruhen, wird in der Regel wenig Nachrichtenwert beigemessen. Dabei sind sie leicht aufzudecken, sie geschehen ständig, am hellichten Tage. »Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet«, hat der Schweizer Jean Ziegler, von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, immer wieder gesagt. Da schreckt der Zuhörer auf, der Reporter notiert, der Leser zuckt kurz. Und dann ist wieder Alltag, in dem die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise in Sambia Agrarkonzerne mit Krediten dabei hilft, riesige Ländereien aufzukaufen. Der lokalen Bevölkerung wird erst eine blühende Zukunft mit Arbeitsplätzen versprochen, letztlich aber der Zugang zu Ackerflächen verwehrt. Die Folge: Sechs Millionen Menschen in dem Land leiden Hunger, 1,6 Millionen mehr als noch vor 16 Jahren.

Doch wer ist schuld, wenn Kinder verhungern oder – wie 2012 in Südafrika – streikende Arbeiter mit halbautomatischen Gewehren gleich zu Dutzenden niedergemetzelt werden? Die Beschäftigten selbst, wie es die Regierung zunächst weiszumachen versuchte? Eine politische Elite, die ihre eigenen Interessen verfolgt statt die der Menschen, von denen sie gewählt wurde? Oder doch die Konzerne, die aus der Ausbeutung von Bodenschätzen und Arbeitskraft Gewinn ziehen und daraus auch den Schmierstoff generieren, der die Rädchen des Systems am Laufen hält? Wer profitiert, der sollte auch in der Verantwortung stehen, sagt Johannes Seoka, Bischof von Pretoria, und fordert von BASF Entschädigungszahlungen für die Hinterbliebenen jener Bergarbeiter von Marikana. »Unbegründet«, entgegnet die Unternehmensleitung und schüttet Dividenden in Milliardenhöhe an ihre Aktionäre aus. Und wenn ein Land wie Südafrika dann mal ein kleines Aufständchen wagt und gemeinsam mit anderen in der UNO fordert, dass Konzerne mit verbindlichen Regeln an ihre Verantwortung erinnert werden, dann wird dieses Anliegen umgehend abgeblockt, auch von der deutschen Bundesregierung.

Bestrebungen nach mehr Unabhängigkeit und der Definitionsmacht darüber, was auf dem afrikanischen Kontinent als gerecht zu gelten hat, wurde in den Kommandozentralen des Westens seit jeher mit wenig Wohlwollen begegnet. Und wenn sie sich nicht einfach in der UNO abschmettern lassen, dann wird auch vor Krieg nicht zurückgeschreckt. Ein Beispiel dafür ist der Versuch Muammar Al-Ghaddafis, mit einer selbstkontrollierten Währung dem von Frankreich abhängigen CFA-Franc Konkurrenz zu machen.

Gibt es Auswege? Auf echte Solidarität wie im Fall der kubanischen Ärzte, die gegen Ebola kämpften, können die Menschen in Afrika nur sehr selten bauen. Aber durch Süd-Süd-Kooperationen und den gewachsenen Einfluss der BRICS-Staaten, insbesondere Chinas, tun sich zumindest Alternativen auf. Ohne eigene Interessen zu verfolgen, agieren diese Akteure freilich auch nicht, aber durch sie entsteht Verhandlungsspielraum bei der Gestaltung der Konditionen. Wirkliche Befreiung muss darauf aufbauend weiter erkämpft werden. Die Kinder in Kenias Hauptstadt Nairobi sind hier ein gutes Beispiel. Sie haben die Mauer, die sie von ihrem Spielplatz trennte, letztlich einfach eingerissen – Polizeiknüppeln und Tränengasgranaten zum Trotz.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/285199