09.01.2016 / Aktion / Seite 16

Frauenfeindlich – Na und?

Deutsche Männer womöglich die tatsächlichen Opfer der Übergriffe in der Silvesternacht in Köln?

Dietmar Koschmieder

Es war damit zu rechnen, dass die schlimmsten Chauvinisten nach den frauenfeindlichen Angriffen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof und anderswo reihenweise das Maul aufreißen werden. Jetzt trete ein, wovor er schon immer gewarnt habe, kommentiert beispielsweise der rechte Publizist Jürgen Elsässer in dieser Woche. »Aus Multikulti wird Bürgerkrieg«, meint er, »der Einmarsch von weit über einer Million Neusiedlern im vergangenen Jahr – großteils Männer im Hormonüberschussalter – hat die ohnedies angespannte Lage eskalieren lassen. Als Erstes trifft es die Schwächsten: die Frauen. Was sich in der Kölner Sylvesternacht und ähnlich in Hamburg und in Stuttgart abgespielt hat, war der Einsatz von sexueller Gewalt zur Demütigung des weiblichen Teils der einheimischen Bevölkerung …«1

Jürgen Elsässer als Vorkämpfer für Frauenrechte? Das wäre eine neue Rolle für den Rechtspopulisten, der bisher keine Gelegenheit ausgelassen hat, gegen den von ihm so genannten Raubtierfeminismus anzugeifern. »Warum die Feministinnen, obwohl in der krassen Minderheit, trotzdem immer weiter marschieren, ist schnell erklärt: Sie genießen die Unterstützung des Großkapitals. Die Zerschlagung der Familie und die Entwertung der Väter bringt die Frauen in die Fabrik – als deren Konkurrentinnen drücken sie das Lohnniveau.«2 Frauen gehören in den Ehestand, an den Herd, an die Seite eines Ehemannes, alles andere hält Elsässer für »Gender-Mainstream-Umerziehung«. Zudem würden Männer in den Medien falsch dargestellt: »Männer als Vergewaltiger, Kinderficker, Kriegsverursacher – das Fernsehgericht von Anne Will und Alice Schwarzer tagt in Permanenz.« Und weiter: »Das Bild der Frau als unterdrücktes Geschlecht – das ist die mediale Luftspiegelung einer untergegangenen Welt. Im Hier und Jetzt stellen Männer das Gros der Arbeitslosen, sie sterben fünf Jahre früher als Frauen und bringen sich drei mal so häufig um. An den Schulen wird den Jungen ihre Männlichkeit abtrainiert – mit zerstörerischen Folgen für ihre Charaktere, ihre Seelen.«2 Um die Seelen der Frauen macht sich Elsässer weniger Sorgen, zur Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 zeigt er seiner Kundschaft, wie man zum Thema so richtig die Sau rauslassen kann: »Müssen die jetzt auch noch kicken? (…) Was soll das sein – Fußball?« Er beschwert sich über den Rummel, den die Medien um die Frauenfußball-WM abziehen würden: »Und warum der Hype? Meines Erachtens gehört das ganze zur Gender Mainstream-Umerziehung. Es soll unbedingt bewiesen werden, dass Frauen wie Männer sind, es also gar keine Geschlechterunterschiede und damit keine Geschlechter gibt. Von den deutschen WM-Frauen ist übrigens nur EINE EINZIGE verheiratet – und zwar mit einer anderen Frau. Und bei diesen Vorbilder-Innen sollen wir uns wundern, wenn Ehe und Familie in Deutschland als aussterbende Institutionen betrachtet werden und das Land langsam aber sicher ausstirbt? Fußball ist ein Männersport, schöne Frauenbeine wird man dort nie sehen. Wer Fußball mit Frauen zusammenbringt, versaut beides. Das ist eh die Ideologie der New World Order: Alles mit allem mischen, alles versauen, ein grauer Einheitsbrei, der vom Big Business alle vier Wochen mit neuer Glasur überzuckert wird. Würg!«3

Alles mit allem vermischen und versauen? Und so einer setzt sich plötzlich für Frauenrechte ein? Da muss doch irgendwo ein Haken sein? Richtig! Frauen sind nämlich auch nach den massenhaften Attacken von Männern in Köln und anderswo keineswegs in erster Linie Opfer von Männergewalt, genaugenommen sind sie noch nicht einmal die wirklichen Opfer – angegriffen wurde die deutsche Na­tion, die deutsche Leitkultur und damit die deutschen Männer, gibt Elsässer zu verstehen. Die deutschen Politiker würden »wieder einmal die Lage beschönigen« und von »Männergewalt« anstatt von »Migrantengewalt« reden, was natürlich »Bullshit!« sei: »Es war ein ›massiver Angriff‹ auf die deutsche Bevölkerung, auf UNS!« Elsässer führt weiter aus, dass die Angriffe auf Frauen »eine typische Taktik bei der Landnahme durch ausländische Mächte« seien. Und weiter: »Die Invasoren demonstrieren: Wir sind die neuen Machthaber, Eure Frauen gehören uns, Eure Gesetze kümmern uns nicht.« Schuld an der ganzen Misere sei Angela Merkel: »… der afrikanisch-arabische Gewaltmob entstand durch die Potenzierung der bisherigen Fehler der Multikulti-Politik (seit zwei Jahrzehnten kaum Abschiebungen, Familiennachzug, Verzicht auf Leitkultur) durch Merkels kriminellen Akt der Grenzöffnung Anfang September 2015.« Natürlich macht sie das im Auftrag der imperialistischen Konkurrenz: Angela Merkel solle solange am Drücker bleiben, »bis Deutschland, der historische Widersacher des angelsächsischen Raubtierkapitalismus, endlich abgeschafft ist«.4 Was er wohl mit dem Attribut »historisch« in diesem Zusammenhang meint? Enkel wie Elsässer fechten es besser als ihre braunen Opis aus? Und waren die vom guten deutschen Großkapital nicht jene, die zur besseren Kapitalverwertung den »Raubtierfeminismus« unterstützen?

Mit seinem reaktionären Geschwafel löste Elsässer selbst bei einigen seiner rechten Freunde Skepsis aus. Um Missverständnisse zu vermeiden, kommentierte etwa ein Nutzer seines Blogs, sollte der Jürgen auf Äußerungen, die frauenfeindlich klingen, lieber verzichten. Jürgen Elsässer setzte darunter: »Klingt frauenfeindlich? Ohgottohgott, das ist ja wirkllich schlümmm!«5 Auch nach den Kölner Vorgängen: Elsässer ist und bleibt ein Male chauvinist pig. (Alle gekennzeichneten Textpassagen in der Schreibweise des Originals übernommen).

1 Elsässers Blog vom 6.1.2016

2 Editorial Compact 7/2011

3 Elsässers Blog vom 26.6.2011

4 Editorial Compact 1/2016

5 Elsässers Blog vom 27.6.2011

Chauvinismus ist laut Wikipedia der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Gruppe, im ursprünglichen Sinn ein »häufig aggressiver Nationalismus, bei dem sich Angehörige einer Nation aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser gegenüber Menschen anderer Nationen überlegen fühlen und sie abwerten«. Von der Frauenbewegung wurde in den 1970er Jahren der Begriff Male chauvinism (englisch für »männlicher Chauvinismus«) geprägt und in verschärfter Form als Schimpfwort »MCP« (male chauvinist pig) verwendet. Er bezeichnet patriarchalisch geprägte bzw. sich so verhaltende Männer, die glauben, allein aufgrund ihres Geschlechts einen Überlegenheitsanspruch über Frauen herleiten zu können.

https://www.jungewelt.de/artikel/278665.frauenfeindlich-na-und.html