07.12.2015 / Feuilleton / Seite 11

Der Kavalier: Ein Nachruf

Wiglaf Droste

Wer einem klassischen Kavalier begegnen will, muss alte Bücher lesen, alte Filme anschauen oder kann sein Glück im Theater versuchen. In freier Wildbahn – so es die überhaupt noch gibt – ist er längst ausgestorben, und Reservate gibt es nur für Tiere, nicht für Kavaliere. So blieben vom ritterlichen Rosenkavalier alter Schule nur mehr der – Obacht, Kalauergefahr im Anzug! – Arthrosen-, der Neurosen- und der Zirrhosenkavalier übrig, dazu das Kavaliersdelikt, der Kavaliersstart und ein norditalienischer Krimineller, der sich »Cavaliere« nennen lässt.

Warum zuvorkommend und großmütig sein, wenn man doch anderen, als lästige Konkurrenz Empfundenen, ganz prima den Weg abschneiden, sie übermöllern oder den Ellbogen ins Gesicht rammen und Frauen beim Einsteigen in den Zug beiseite drängeln kann?

Der moderne Mensch ist per se wichtig, besteht als Immer-schon-Grobian darauf, dass für Feinheiten keine Zeit sei, und beschäftigt sich mit der Durchsetzung langweiliger, uninspirierender Partikularinteressen und autistisch-narzisstisch vor dem Spiegel mit der Bipolarforschung; dieses enge Feld aber überlasse ich gern und ganz kavaliersgerecht Reinhold Messner.

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