03.12.2014 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Die Rohstoffreserven gehören den Ländern

Afrikanische Staaten müssen ihre Bodenschätze strategisch einsetzen - nicht, um Profite zu erwirtschaften, sondern um langfristig von ihnen loszukommen. Das gegenwärtige System ist gescheitert. Ein Gespräch mit Lorenzo Fioramonti

Christian Selz

Lorenzo Fioramonti ist Professor für politische Ökonomie und Direktor des Centre for the Study of Governance Innovation an der Universität Pretoria in Südafrika. Er ist Autor des Buchs »Gross Domestic Problem: The Politics Behind the World's Most Powerful Number«.

Südafrikas Präsident Jacob Zuma hat den Aufbau von Infrastruktur im Februar dieses Jahres vor der Afrikanischen Union als Schlüsselpriorität für die Länder des Kontinents hervorgehoben. Hat er recht?

Das hängt davon ab, was wir unter Infrastruktur verstehen. Es gibt etwas Schlimmeres, als keine Infrastruktur zu haben: die falsche Infrastruktur. Wenn unsere Politiker reden, scheinen sie die Infrastruktur des 20. Jahrhunderts im Kopf zu haben: schwer, umweltschädlich und nur für die, die Geld haben. Wir brauchen aber eine Infrastruktur, die einer leichteren, >smarteren< Wirtschaft dient, in der weniger transportiert wird und in der Waren dort produziert werden, wo sie auch konsumiert werden. Das ist Afrikas Zukunft.

Zuma sagte, er wolle Gräben aus der Zeit des Kolonialismus überbrücken, um den innerafrikanischen Handel und damit das Wirtschaftswachstum zu fördern. Die meisten AU-Mitglieder schienen ihm zuzustimmen. Zuma hat auch bereits mehrfach dargelegt, dass er an Schienen, Straßen und Häfen denkt.

Die reden von dieser Art Infrastruktur, weil sie genau das Gegenteil von dem wollen, was für internen Handel benötigt wird. Die haben ein Interesse daran, die Häfen mit den Hauptproduktionsorten zu verbinden, den Minen, den Lagerstätten seltener Metalle, der Kohle und den Ölfeldern. Das ist die Infrastruktur, die Reichtum abzieht aus Afrika. Wenn sie daran interessiert sind, internen Handel zu schaffen, dann muss der auf einer diversifizierten Wirtschaft basieren. Wir müssen uns fragen, welche Art Handel wir wollen: den hochgradig zerstörerischen, der die Umwelt verschmutzt, oder einen des lokalen Produzierens und Konsumierens, ein Modell des regionalen Handels, idealerweise durch kleine Unternehmen. Wir brauchen also eine Infrastruktur, die die Städte mit den ländlichen Zentren verbindet, damit die Produzenten dort ihre Waren in den Städten verkaufen können, ohne dorthin ziehen zu müssen. Aber davon reden die Politiker oft nicht. Die wollen große, schwere Infrastruktur, um hauptsächlich Exportgüter zu transportieren, nicht Menschen.

Diese Exporte, vor allem von Rohstoffen, sind schon häufig als zerstörerisch gebrandmarkt worden. Sie reden von Reichtum, der weggenommen wird. Aber können es sich afrikanische Staaten leisten, ihre Bodenschätze nicht zu nutzen?

Sie müssen schlau und strategisch agieren. Die Bodenschätze sind wahrscheinlich der wertvollste Reichtum, den Afrika hat - und der wird nie zurückkommen. Unsere Politiker sollten sie also strategisch nutzen, nicht als Mittel, um Profit zu generieren, sondern um einen neuen Typ von Entwicklung zu schaffen. Sie sollten Bedingungen für Unternehmen aufstellen, die die Rohstoffe ausbeuten. Und sie sollten die Verkäufe der Mineralien minimieren, wann immer das möglich ist, während die Erträge in den Aufbau eines neuen Wirtschaftssystems für den Kontinent fließen, das nicht mehr von Rohstoffexporten abhängig ist.

Wenn man aber strategisch mit seinen Bodenschätzen umgehen will, muss man sie dann nicht erst einmal besitzen? Wenn Sie sich zum Beispiel die Platinressourcen ihrer Region anschauen, die gehören dem Staat ja gar nicht.

Das ist richtig und darum müssen wir strategisch agieren. Die Strategie kann nicht sein, sie an große Konzerne wegzugeben, von denen die meisten nicht einmal mehr in Afrika angesiedelt sind. Das sind öffentliche Güter, fundamental wichtige öffentliche Güter, die sparsam genutzt werden müssen und über deren Verwendung die Regierung das Sagen haben muss. Dann kann man Partnerschaften mit jemandem eingehen, der die Technik hat, um sie zu fördern und um sie zu verarbeiten. Da muss sich was ändern. Die Ausbeutung der Bodenschätze ist ein notwendiges Übel, das minimiert werden muss und das einen unmittelbaren Nutzen für die Umwandlung der Wirtschaft haben muss, die wir auf dem Kontinent sehen wollen.

Natürlich wirft das neue Fragen auf. Es ist eine Tatsache, dass Regierungen häufig von multinationalen Konzernen bezahlt werden, die hierher kommen und unsere Ressourcen ausbeuten. Aber in der Theorie sollten wir eine lückenlose Rechenschaft erwarten. Wir müssen es teurer machen, unsere Bodenschätze zu nutzen. Letztendlich hängt von diesen Materialien das weitere Operieren der Weltwirtschaft ab. Wir haben ein Kartell, einige unserer Mineralien kann man nicht ersetzen.

Der African National Congress (ANC), Südafrikas Regierungspartei, hat bereits mehrfach Bodenschätze für strategisch erklärt, aber wenn es darum geht, diese Ressourcen zu verstaatlichen, schreckt die Führung zurück. Was gibt es da für eine Lösung?

Das Thema Verstaatlichung ist hochgradig politisch aufgeladen. Die derzeitige Führung will nicht darüber reden, weil sie befürchtet, dass radikale Oppositionsparteien dann innovativ aussehen, und sie hat Angst, internationale Investoren und Konzerne abzuschrecken. Aber es versteht sich von selbst, dass Ressourcen von derart hoher strategischer Bedeutung für den Kontinent, die nicht erneuerbar sind und deren Abbau solch hohe Sozial- und Umweltkosten mit sich bringt, unter eine völlig andere Verwaltung gestellt werden müssen. Norwegen hat das gemacht. Norwegen hat ein staatliches System für die Förderung von Bodenschätzen. Man muss also gar nicht auf sozialistische Länder schauen, es reicht ein Blick in Länder, die vernünftig für die Zukunft planen wollen. Rohstoffreserven gehören den Ländern und sie sind hoch produktiv, aber auch extrem gefährlich und sehr zerstörerisch. Wie sie genutzt werden, kann nur demokratisch entschieden werden, niemand sonst als die Bevölkerung sollte darüber das Sagen haben. Natürlich setzt das eine gute Regierung voraus, Rechenschaftspflicht gegenüber der Gesellschaft und die Fähigkeit, mit externen Akteuren Verhandlungen aufzunehmen - und zwar besser aus einer Position der Stärke.

Aber haben die Regierungen nicht auch Angst, Rohstoffe strategisch zu verwenden? Denn das hieße ja, das Fördervolumen zu verringern, um sie teurer und damit letztendlich produktiver zu machen, aber das würde eben auch bedeuten, dass man Arbeitsplätze in den Minen abbaut. Können afrikanische Länder sich das vor dem Hintergrund ihrer hohen Arbeitslosenraten leisten?

Niemand kann sich das leisten. Aber wir müssen das tun. Wir müssen die Ressourcen vergesellschaften, was besser ist, als sie zu verstaatlichen, und wir müssen von der Regierung Rechenschaft darüber verlangen, was sie damit tun.

Was ist für Sie der Unterschied zwischen Verstaatlichung und Vergesellschaftung?

Nationalisierung ist ein aufgeladenes Konzept. Im großen und ganzen bedeutet es, dass der Staat Besitzer von etwas ist. Und der Staat tendiert dazu, in der Hand einer Clique von Leuten zu sein, einer Elite. Nationalisierung klingt danach, als würde die politische Elite nationale Ressourcen in ihre Hände privatisieren. Vergesellschaften bedeutet dagegen, dass die gesamte Gesellschaft zum Besitzer der Ressourcen wird und sie als etwas Hegenswertes sieht, etwas Schützenswertes, so wie beispielsweise ein Ökosystem. Die Idee hinter der Vergesellschaftung ist, den Menschen die Verantwortung zu geben.

Aber auch eine Vergesellschaftung müsste durch den Staat erfolgen.

Natürlich, natürlich. Aber es ist ein konzeptueller Unterschied. Wenn man nationalisiert, klingt es, als hätte einfach die Regierung das Sagen. Wenn die Regierung dann die gleichen Ansätze verfolgt, wie ein Unternehmen, hätte man eine Art öffentlicher Privatisierung. Vergesellschaften macht es zu einer Angelegenheit aller. Und wie es in anderen Ländern wie Bolivien bereits gemacht wurde, wäre ich auch dafür, die Bedeutung dieser Ressourcen in der Verfassung festzuschreiben. Noch mal: Es geht hier um wesentliche strategische Ressourcen, die einen ökonomischen Wandel unterstützen können, die aber auch eine Gesellschaft vollständig zerstören können. Das sind keine einfachen Waren, die können nicht nach Marktprinzipien behandelt werden.

Sie haben die Arbeitsplätze angesprochen: Wenn man diesen Weg verfolgt, schafft man andere Lebensstile und andere Systeme des sozialen Schutzes, für die Menschen, die in den betroffenen Gebieten arbeiten. Es geht dann nicht darum, Profite zu maximieren, sondern darum, Profite zu optimieren und Risiken zu minimieren. Das wird unsere Sicht auf diese Ressourcen verändern, und es wird sich positiv auf die Arbeiter auswirken. Wir haben heute ja schon hohe Produktivitätssteigerungen und streichen ohnehin Stellen. Wir bauen also derzeit Arbeitsplätze ab, um Kosten zu minimieren und um Güter so profitabel wie möglich zu machen. Das müssen wir ändern, und wir müssen vor allem planen, aus diesen Ressourcen auszusteigen. Wir brauchen Umverteilungssysteme, damit wir in 20 Jahren ein Zehntel oder ein Zwanzigstel der Bergarbeiter von heute haben und in 50 oder 100 Jahren gar keine mehr. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen und ihre Kinder, die zukünftigen Generationen, etwas anderes erlernen können. Das System der strategischen Nutzung der Mineralienreserven ermöglicht es den Gesellschaften, auszusteigen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Es geht also nicht darum, Arbeitsplätze zu verlieren, sondern darum, die Arbeitsplätze, die wir haben, zu verbessern, und diejenigen, die in der Zukunft arbeitslos würden, für andere, nützliche Sektoren der Wirtschaft umzuschulen.

Das klingt nach einer mittel- bis langfristigen Strategie. In der Gegenwart sieht mir die Diskrepanz zwischen einer wachsenden Wirtschaft inklusive wachsender Gewinne aus der Bodenschatzausbeutung auf der einen Seite und anhaltender Armut auf der anderen Seite eher nach einem Umverteilungsproblem aus.

Die Situation, das Weitermachen wie bisher, ist keine Zeitbombe, das ist eine reale Bombe - und zwar eine, die immer mal wieder explodiert. Das System, wie wir es jetzt haben, funktioniert nicht. Wir hatten Marikana 2012 (blutig niedergeschlagene Bergarbeiterstreiks in Südafrika mit insgesamt 44 Toten, jW), wir haben immer wieder Unruhen an den Minen, wir hatten zu Beginn dieses Jahres einen sechsmonatigen Streik. Was immer dieses System ändert, ist eine Diskussion wert - und zwar nicht notwendigerweise mittel- bis langfristig, sondern ab morgen. Dieses System schafft Armut und extreme Ungleichheit.

Sie haben die Umverteilung angesprochen. Das ist eine separate Diskussion, die ich für wichtig halte. Aber ich würde die beiden Themen nicht vermischen, sonst schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Der Wandel weg von einer Wirtschaft, die auf dem Bergbau basiert, ist entscheidend. Dann können wir über Umverteilung sprechen. Die Diskussionen darüber, wie strukturell ungleich unser Wirtschaftssystem ist, nehmen zu, und ich glaube, dass Umverteilung nützlich sein wird, denn es gibt ja eine direkte Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und Ungleichheit. Durch unkontrolliertes Wirtschaftswachstum wird eine ungleiche Verteilung verschärft, das wissen wir. Das Wirtschaftswachstum ist ein Mittel, die Armen ruhigzustellen, um ihnen vorzumachen, dass, wenn der Kuchen größer wird, auch irgendwann etwas für sie übrig sein wird. Wenn man aber anfangen würde, den Reichtum umzuverteilen, den wir bereits generiert haben, käme man ohne Wachstum aus. Das ist die unausgesprochene Wahrheit im ökonomischen Diskurs unserer Zeit.

Haben die Regierungen afrikanischer Staaten die Macht, ihre Volkswirtschaften so umzugestalten, dass sie den Menschen dienen, dass ihre Ressourcen dem Volk nutzen und dass sie solche Umverteilungen möglich machen können?

Ich denke ja, denn ich glaube nicht, dass afrikanische Regierungen strukturell dümmer sind als andere Regierungen in anderen Entwicklungsländern.

Ich würde es nicht »strukturell dümmer«, sondern »strukturell weniger mächtig« nennen.

Gut, Brasilien hat es geschafft, Umverteilungsmechanismen und ein Sozialleistungssystem aufzubauen, das dazu beigetragen hat, Ungleichheiten zu verringern. In Südafrika haben wir eines der größten Sozialleistungssystem der Welt. Es gibt Mittel und Wege, aber im Endeffekt ist zu viel Reichtum in den Händen zu weniger Leute konzentriert. Das muss sich irgendwann ändern, nicht nur, weil es fair wäre, sondern weil es für uns der beste Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung ist. Wenn unsere Wirtschaft anders wachsen soll, wenn wir sie umwandeln wollen, brauchen wir Rohstoffe für die Übergangsphase. Wenn man jedoch durch seine Verfassung zum Erreichen eines Wachstumsziels alle drei Monate gezwungen ist, kann man keine Transition hin zu einer neuen Volkswirtschaft schaffen. Denn das hätte sofort Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt, und dann geraten die Dinge außer Kontrolle und man bekommt Probleme mit den Investoren. Deshalb brauchen wir einen Plan für 20 bis 30 Jahre, die wir durch die Umverteilung des vorhandenen Reichtums überbrücken. Vielleicht müssen wir dazu unabhängige Institutionen schaffen, Partnerschaften und Wege, bei denen der private Sektor an eine effiziente Umverteilung glaubt. Unser Wirtschaftssystem funktioniert jedenfalls nicht, weder für die Menschen, noch für den Planeten. Also müssen wir es ändern, das ist unumgänglich.

Interview: Christian Selz

https://www.jungewelt.de/beilage/art/265747