28.05.2014 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Schaut mich nicht so an!

Ey, probier’s doch mal nicht mit Gemütlichkeit, sondern mit Klassenkampf! Karl Marx als materialistisches Gespenst für Kinder

Christof Meueler

Karl Marx für Kinder – das ist auch so eine Idee, die meistens schief geht. Zu viel Text, zu viel Voraussetzungen, zu viel Pädagogik machen die Leser müde statt zu kleinen Kommunisten. Desöfteren wurde derlei in Comicform präsentiert, weil man meinte, das mögen Kinder. Doch dann konnten die Mickey Maus-Leser darin nicht den Comic finden, weil die Autoren unter Comic die Montage und künstlerische Anfhäufung von allem möglichen verstanden, nur nicht das Erzählen einer Bildgeschichte.

Wenn diese Bücher überhaupt von jemandem goutiert wurden, dann von Erwachsenen, weil die immerhin verstanden, was gemeint gewesen sein könnte. Und so lasen Marxisten Bücher, die für sie gar nicht gedacht waren und langweilten sich dabei wie ihre Kinder, die ja Marxisten oder so etwas ähnliches werden sollten. Eine Ausnahme stellt das Buch »Kommunismus für Kinder« (2004) von Bini Adamczak dar, weil es sich nur einer Kindersprache bedient, aber eben nicht für Kinder gemacht ist.

Doch jetzt schlägt den gefühlten Erziehungsdiktatoren ein frischer Wind entgegen: »Das Gespenst des Karl Marx« flattert aus dem Diaphanes Verlag herbei, wo in der Reihe »Platon & Co« Philosophie für Kinder erscheint. Bislang wurde sich an Sokrates, Descartes und Einstein versucht, rundum gelungen ist aber nur das Kinderbuch über Marx. Verstehbar ab zirka 4. Klasse.

Ronan de Calan hat ein agitatorisches Grundlagenwerk geschaffen, das die Kinder weder für zu blöd noch für zu klug verkaufen will. Es wird ihnen einfach nur mitgeteilt: Ey, probiers doch mal nicht mit Gemütlichkeit, sondern mit Klassenkampf! Und das auf 63 wenig textlastigen Seiten, die von Donatien Mary eindrucksvoll illustriert wurden, in einem spätexpressionistischen Stil, wie man ihn aus den Deutsch-Schulbüchern der 1950er und 60er Jahre (in beiden deutschen Staaten) kennt: symbolisch und doch anschaulich. Und wenn der Klassenkampf als Lokomotive anrollt, die Fabriken aussehen wie Haifischflossen und der personifizierte Kapitalist Zigarre rauchend einen Zylinder trägt, dann ist das nicht platt, sondern ganz klar zeichenpolitisch vor Bad Godesberg angesiedelt (als sich 1959 die parlamentarische Linke hierzulande endgültig in den Unsinn verabschiedete). Oder hat jemand etwas dagegen, daß Karl Marx einen Bart trägt? Marx sieht hier übrigens aus wie Michail Bakunin. Die beiden waren sich ja näher, als sie zugeben wollten.

Calan präsentiert Marx geschickterweise als Gespenst. Hier spricht nicht das Kommunistische Manifest, sondern dessen Mitverfasser: »Guten Tag! Guten Tag! Keine Angst, das ist nur ein Tuch. Ich bin nicht mehr ganz jung, bald ist mein zweihundertster Geburtstag. Du brauchst nicht zu denken, ich wäre tot, nur weil ich umherspuke wie ein Gespenst.« So wird der Leser gleich zu Beginn an- und festgeredet. Marx ist hier wie beim Kinderkarneval unter einem Tuch versteckt und damit wird im Fortgang das anarchische System des Kapitalismus erklärt. Das ist anschaulicher als G-W-G’ und mutet wie ein Zaubertrick an, simsalabim. Gelüftet wird aber ganz materialistisch das Geheimnis von Lohn-Preis-Profit.

Erst können die Bauern in Schlesien ihr Korn nicht mehr verkaufen. Sie bekommen gesagt, daß es zu teuer sei. Dann gehen sie in die Stadt und arbeiten in der Weberei. Bald hören sie, das Tuch sei zu teuer, woanders ist es billiger. Also arbeiten sie in der Tuchfabrik und müssen schnell erfahren, daß ihre Arbeit zu teuer sei. Letzteres ist der Kernvorwurf des Neoliberalismus, aber viel älter als dieser. »Und jetzt schaut mich nicht so an, für eure Probleme kann ich nichts, das ist nun einmal die Realität des Marktes«, so spricht das Kapital bei Calan vom Früh- bis zum Spätkapitalismus. Leider zeigt er nicht, daß die Beschäftigten darauf oft nur »aha« oder »schade« antworten.

Und deshalb ist die Geschichte des Klassenkampfes, wie Calan schreibt, »nicht nur lang, sondern auch traurig!« Unter anderem, weil man nie genau weiß, »gegen wen man kämpfen soll, und oft hält man den Falschen für den Feind«. Soviel zur linken Politik. Oder zu Wertkritik, Verdinglichung oder Kulturindustrie. Ist aber erstmal nicht entscheidend. Liebe Kinder, gebt fein acht, das Buch hat euch eine Idee mitgebracht: »Den Markt zu finden, diesen teuflischen Zauberer und zum Wohle aller ein für alle Mal mit ihm Schluß zu machen.« Eine schöne Aufgabe fürs Leben, die man in nur 15 Minuten durch- oder in 30 Minuten vorgelesen hat: »Den Umsturz aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«

Ronan de Calan: Das Gespenst des Karl Marx. Illustriert von Donatien Mary. Aus dem Französischen von Heinz Jatho. Diaphanes, Zürich/Berlin 2014, 63 Seiten, 14,95 Euro


Die Illustrationen dieser Beilage von Donatien Mary stammen aus diesem Buch, mit freundlicher Empfehlung des Verlags Diaphanes

https://www.jungewelt.de/beilage/art/265371