14.08.2013 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Nicht zum Lügen gezwungen

Viele Medien tun es aber freiwillig: Verdrehungen und Hetzkampagnen gehören zum Alltagsgeschäft. Das ist aber nicht unbedingt nur Schuld der Journalisten

Peter Wolter

Pressefreiheit« läßt sich unterschiedlich interpretieren: Man kann die Medien als »vierte Gewalt« in der Demokratie loben – man kann sie aber auch so definieren, wie der deutsche Fernsehmoderator Robert Lembke (1913 – 89): »Pressefreiheit ist das Recht, Lügen zu drucken, ohne dazu gezwungen zu sein.«

Glücklicherweise sind wir in Deutschland noch weit entfernt davon, daß Redaktionen zum Lügen gezwungen werden – Verdrehungen, Hetzkampagnen und Auslassungen gehören aber dennoch zum Tagesgeschäft vieler Mainstream-Medien. Wollte man die jeweiligen Redakteure dafür in die Pflicht nehmen, träfe man möglicherweise die Falschen: Viele Redaktionen sind mittlerweile so ausgedünnt, daß zum Recherchieren kaum noch Zeit bleibt. Hinzu kommt: Journalisten, die nicht nach der Pfeife der Anzeigenabteilung oder der Chefetage tanzen, riskieren ihre Jobs. Davon gibt es aber nicht mehr so ganz viele; alleine im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 1000 Redakteure und Redakteurinnen entlassen.

Daß vor allem die Konkurrenz durch das Internet zu tektonischen Verschiebungen in der Medienlandschaft führt, ist eine Binsenwahrheit. Dennoch lohnt es sich, einzelne Erschütterungen näher unter die Lupe zu nehmen. Das letzte Erdbeben dieser Art war der überraschende Verkauf zahlreicher Blätter aus dem Springer-Verlag an die Funke-Gruppe. Unser Autor Gert Hautsch wirft einen Blick auf die dahinter steckenden Konzernstrategien (Seite 2) und porträtiert diese Medienkrake aus dem Ruhrgebiet, die bis vor kurzem noch unter dem Namen WAZ-Konzern bekannt war (Seite 3).

Wie auch dieser jüngste Deal belegt, stecken vor allem die Regionalzeitungen in der Krise – Auflagenhöhe, Abonnementszahlungen und Anzeigenerlöse gehen zurück. Da Aktionäre und Gesellschafter aber »Cash« sehen wollen, wird beim Personal gespart. Nachdem die Funke-Gruppe im vergangenen und im laufenden Jahr schon mehrere ihrer Regionalzeitungen redaktionell filetiert hatte, droht den Neuerwerbungen jetzt das gleiche Schicksal: Es werden möglicherweise wieder einige hundert Arbeitsplätze gestrichen.

»Selten wird so viel gelogen wie nach der Jagd und vor der Wahl« soll Otto von Bismarck gesagt haben. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl laufen deutsche Medien wieder zur Hochform auf: Oft ohne den Versuch der Differenzierung oder Distanzierung walzen sie die windigsten Wahlkampfhits von SPD, CDU, FDP und Grünen aus – Versprechen, von denen man jetzt schon weiß, daß sie nicht eingehalten werden. Der Gefahr der Wählertäuschung braucht sich allerdings die Linkspartei nicht auszusetzen, sie wird mit ziemlicher Sicherheit gar nicht erst die Gelegenheit bekommen, ihre Politik auf Regierungsebene in die Tat umzusetzen. Sie muß sich darauf beschränken, ihre Forderungen zumindest bekannt zu machen – einen Einblick darin, wie das gemacht wird, gibt ein Interview mit einem Sprecher der Pressestelle der Bundestagsfraktion (Seite 4).

Weitere Themen: Ein Interview mit dem Deutsch-Griechen Michalis Pantelouris, der jahrelang als Journalist gearbeitet und jetzt voller Enttäuschung seinen Beruf aufgegeben hat (Seite 5); das Bekenntnis eines IT-Spezialisten, warum er sich durch die NSA-Affäre nicht bange machen läßt (Seite 6); Unschuldsvermutung in Vergewaltigungsprozessen (Seite 7); und zum Schluß: »Die Sprache lügt« – eine Glosse zum Versuch der Sprach- und Denkkontrolle durch »political correctness« (Seite 8).

https://www.jungewelt.de/beilage/art/265164