24.07.2013 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Morgenrot in Lateinamerika

Ein antiimperialistischer Staatenbund fordert die Großmächte heraus. Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas versteht sich als sozialistisch

André Scheer

Die Enthüllungen des früheren NSA-Agenten Edward Snowden haben die Aufmerksamkeit auch auf einige Länder Lateinamerikas gerichtet. Während hierzulande medienwirksam darüber diskutiert wurde, ob man diesem »Verräter« Asyl gewähren sollte – während Tausende andere Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen müssen –, boten sich mehrere Länder Mittel- und Südamerikas als Zuflucht für den Whistleblower an. Ecuador, das bereits Julian Assange, dem Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Asyl gewährt hat, wurde von Anfang an als Ziel der Flucht Snowdens gehandelt. Boliviens Präsident Evo Morales, der sich während einer Gipfelkonferenz in Moskau offen für eine Asylgewährung gezeigt hatte, wurde von vier europäischen Staaten am Überflug gehindert – offensichtlich auf Befehl Washingtons und nur wegen des Gerüchts, Snowden befände sich an Bord der Präsidentenmaschine. Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro und sein nicaraguanischer Amtskollege Daniel Ortega erklärten öffentlich, die Offenlegung der Spitzelpraktiken Wa­shingtons sei eine Heldentat gewesen, Snowden verdiene Schutz.

Was diese vier Länder gemeinsam haben: Sie sind Mitglieder der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) – zusammen mit Kuba und den Karibikstaaten Dominica, San Vicente und die Grenadinen sowie Antigua und Barbuda. Dieses 2004 auf Initiative des damaligen venezolani­schen Präsidenten Hugo Chávez und des Comandante en Jefe der Kubanischen Revolution, Fidel Castro, gegründete Bündnis hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Akteur auf der internationalen Bühne gemausert, der auch von seinen Gegnern ernstgenommen werden muß. Die Entstehung neuer Regionalbündnisse wie der Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) und der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) ist ohne das Wirken der ALBA kaum denkbar. Doch vielleicht noch wichtiger: Zum ersten Mal seit dem Verschwinden des »sozialistischen Lagers« in Europa gibt es wieder eine internationale Insititution, die explizit die Überwindung des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zum Programm erhoben hat.

Für uns ist das Grund genug, der ALBA erstmals eine ganze Beilage der Tageszeitung junge Welt zu widmen. Darin beleuchten André Scheer und Volker Hermsdorf, wie aus einer Propagandainitiative gegen die Machenschaften der USA eine internationale Organisation entstanden ist. Ecuadors Botschafter in Deutschland, Jorge Jurado, kommentiert, warum Edward Snowden unter anderem in seinem Land Asyl beantragt hat. Dieses ist im Dezember auch Gastgeber der 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, auf die Lena Kreymann einstimmt. Die kubanische Wirtschaftswissenschaftlerin Blanca Rosa Pampín erläutert im Interview unter anderem, wie Kuba von ALBA und der veränderten internationalen Lage profitiert. Claudia Schröppel erinnert mit einer Reportage an den am 5. März verstorbenen Hugo Chávez, der zusammen mit Fidel Castro als Vater der ALBA gelten kann. Und schließlich lenkt Volker Hermsdorf den Blick auf die Gefahren, die ALBA drohen.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/265145