Sämtliche Fotos in dieser Beilage stammen aus dem Band
»Schöner unsere Paläste! Berlin-Fotografien 1978
bis 1998« von Gerd Danigel, erschienen im Leipziger Lehmstedt
Verlag. Mehr zum Buch auf Seite 5.
BU: Hinterhof an der Schönhauser Allee, 1980
Manchmal sieht man es auf Rolltreppen: Ein Piktogramm von einem
Buggy, darum ein roter Kreis, ein breiter roter Balken längs
über das Symbolbild: Kinderwagen verboten. Mittlerweile taucht
das Verbotsschild immer häufiger auch anderswo auf. Genervte
Anwohner im Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin, wegen der hohen
Schwangerschaftsrate »Pregnancy Hill« getauft, sprayen
es auf den Gehweg, malen es an Hauswände und lassen es auf
Aufkleber drucken. Hier wird nicht vor Gefahren gewarnt, hier
lautet die Botschaft: Kinder unerwünscht!
Und die wird immer populärer. Im bayerischen Kraiburg
erließ ein Wirt kurzerhand ein Lokalverbot für unter
12jährige. Nach einer Reportage des Bayerischen Fernsehens,
stand das Telefon beim Sender nicht mehr still. 17000 Anrufer
zählte die Redaktion. Die meisten wollten aber nicht etwa
ihren Ärger über den kinderfeindlichen Wirt loswerden,
sondern seine Courage preisen. Die Umsätze im Gasthof
»Hacienda« sind nach Einführung des Verbots
gestiegen, berichtet der Wirt. »Ich bin nicht dafür da,
andere Kinder zu erziehen«, sagt der vierfache Vater. Er hat
genug von vollgemalten Tischdecken, dreckigen Schuhen und
verschütteter Cola.
Im Münchner Vorort Haar protestierten Anwohner gegen den Bau
einer Kindertagesstätte. Die fadenscheinigen Ausreden: mehr
Verkehr und mehr Kinder, das bedeute Lärm und eine höhere
CO2-Belastung, das geschützte Waldgebiet sei gefährdet,
ja, die Lebensleistung der Menschen vor Ort, die vor 30 Jahren ihre
Häuser in der Straße gebaut haben, werde nicht
respektiert. In Haar kam es zu einer unheilvollen Allianz von Alten
und Hundehaltern. Letztere sorgen sich um den Auslauf ihrer
Vierbeiner und fragen: »Wo sollen die lieben Kleinen denn
dann spielen?« Keinen Auslauf haben die Kinder in Haar. Wer
überhaupt einen Krippenplatz bekam, wurde zeitweilig in
Containern oder Kellerräumen untergebracht. Immerhin
dürften in der Vergangenheit erfolgreiche Klagen gegen
Kindergärten aufgrund der entstehenden Dezibel ins Leere
laufen. Der Deutsche Bundestag hat vergangenen Donnerstag eine
entsprechende Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes
(BimSchG) beschlossen, nach der Kinderlärm nicht mehr als
schädliche Umwelteinwirkung gelten darf. Laute Geräusche
von Spielplätzen, Kindergärten und ähnlichen
Einrichtungen in Wohngebieten sollen kein Grund mehr für
Nachbarschaftsklagen sein. Es gibt jedoch noch die
Einschränkung »in der Regel«…
Weltweit organisieren sich Kinderhasser schon seit Jahren im
Internet. Beim Aufruf der Website »Childfree Ghetto«
etwa erscheint der Warnhinweis, die Inhalte der aufgerufenen Seite
könnten nicht für Jugendliche geeignet sein. Man rät
Kindern vom Besuch ab. Ausgesperrt auch hier. Dabei könnten
die Kinder dort oder auf der kanadischen Seite
»nokidding.net« erfahren, was gegen sie im Schilde
geführt wird. Zu den Forenvorschlägen gehört etwa
die Anschaffung eines Gerätes, das Ultraschallfrequenzen von
sich gibt, die nur für junge Ohren hörbar und extrem
unangenehm sind, vom abgestumpften Erwachsenenohr aber gar nicht
wahrgenommen werden. Die Internetnutzer klagen, nur wegen der
Bälger würden interessante Fernsehsendungen ins
Nachtprogramm verbannt, und fordern strengere
Lärmschutzbestimmungen. Den ersten Sonntag im Juni haben sie
übrigens zum »kinderfreien Erwachsenentag«
erklärt.
Freilich, wer neben einer Schule wohnt, der kennt das: So sicher
wie auf den Blitz der Donner folgt auf die Pausensirene das
Pausengeschrei. Und schon manche U-Bahn wurde verpaßt, weil
sich zusätzlich zum Zwillingsbuggy eine Pennäler-Horde in
den überfüllten Wagen zwängen mußte. Aber
manchmal, da steht auch einer von ihnen auf, um einer alten Frau
seinen Sitzplatz anzubieten, und manchmal hilft der Gedanke,
daß einer von denen, die nebenan auf der Liegewiese im Park
gewindelt werden, vielleicht einmal derjenige sein wird, der einem
selbst den Hintern abwischt, wenn man es nicht mehr allein kann.