10.11.2010 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Unter Waffen

Kindersoldaten vor Hubschrauber: Ein Foto aus dem Ostkongo erzählt, was Imperialismus bedeutet

Gerd Schumann

Ein Ort im ostkongolesischen Dschungel, irgendwo auf der Landstraße nach Walikale: Im Vordergrund drei Jungs mit umgehängten Kalaschnikow-Maschinenpistolen nebst Reservemunition, befestigt mit Klebeband am Magazin. 30 weitere Schuß für den Fall der Fälle, daß die Ladearbeiten am Hubschrauber gestört werden. Zweimal täglich wiederholt sich die gespenstische Szenerie, füllt sich der Bauch des Helikopters mit Coltan-Säcken, die aus der Provinz Nord-Kivu in benachbarte Staaten geflogen werden, nach Ruanda oder Burundi, Drehscheiben des Handels mit den begehrtesten Rohstoffen für High-Tech-Produkte. Ohne Wolfram, Tantal, Gold, Zinn und eben Coltan funktioniert kein Mobiltelefon, kein Laptop, kein Camcorder; auch Satelliten kämen aus der Bahn, würden nicht Zehntausende Sklaven unter grauenhaften Bedingungen gezwungen zum Abbau der Bodenschätze, welche dann zu Schleuderpreise auf den Weltmarkt gelangen, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung (21.8.2010).

Wie selbstverständlich doch der Anführer der Kindersoldaten, der Schlaksige links im Bild, seinen Safarihut trägt – Symbol für den weißen Siedler auf Jagd in der afrikanischen Savanne. Leoparden-Polohemd der Junge rechts, T-Shirt mit Rhinozerosmotiven der Kleine in der Mitte. Opfer, die zu Tätern gemacht wurden, und die doch nicht verantwortlich sind. Was haben die drei alles gesehen und erlebt, bevor ihnen ältere Männer die Knarren in die Hand drückten? AK47-Sturmgewehre, von skrupellosen Waffenhändlern für hohe Extraprofite ins Land geschafft, bezahlt aus dem Verkauf von gestohlenen Rohstoffen, eingesetzt von den Führern der etwa 25 hier agierenden Rebellentruppen. »Bewaffnete Banditen« werden diese überall in Afrika genannt, wo sie sich sehen lassen. Peiniger ihrer Landsleute, Werkzeuge der Reichen, untere Ebene in einer Hierarchie des Schreckens. Deren Zentrale liegt fern.

Hinter dem Bild

Das Bild hinter dem Bild zeigt gestylte Gestalten in lichtdurchfluteten Etagen der Elektronikkonzerne im reichen Norden der Erdkugel, es zeigt Couponschneider wie aus dem Bilderbuch des Marxismus, Börsenspekulanten, Dividendenkassierer, die Schuldigen an Elend und Ausplünderung, die sich ihre Hände noch nie in der Geschichte selbst schmutzig gemacht haben. Seit Jahrhunderten nicht, nachdem die Schatzkammer Afrikas in der Großen-Seen-Region entdeckt war, als Sklavenjäger aus Europa ihre Menschendeals begannen und ganze Landstriche entvölkerten. Später, nach der Berliner Kongo-Konferenz 1885, hielt sich das belgische Königreich schadlos an den Eingeborenen, an deren Arbeitskraft in den Kautschukplantagen und ließ Unwilligen wie Aufmüpfigen Hände abhacken und auch Köpfe.

Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Ungezählte Millionen Menschen starben in den beiden jüngsten Kongo-Kriegen (1996–2003) und danach täglich Zehntausende – bis heute. Von Massenvergewaltigungen wird dann und wann in den Mainstreammedien der Welt konsequenzlos berichtet, Bundeswehr-Blauhelme spielen sich – jüngst im Fernsehfilm »Kongo« – als kolonisatorische Busch-Missionare auf und selektieren nach dem Motto: gute Schwarze, böse Schwarze. Die imperialistischen Drahtzieher des Todes bleiben ausgeblendet. Selektive Wahrnehmung der Lage. Imperialismus – was ist das?

Das Wortungetüm

Vor einigen Monaten (15.7.2010) berichtete die Berliner Zeitung über die maoistische Volksbefreiungsarmee (PLA) in Nepal. Eine Guerillera wird vorgestellt: »Die Schule brach sie nach der zehnten Klasse ab, aber Wortungetüme wie »antiimperialistischer Kampf« gehen ihr leicht über die Lippen, ebenso Anklagen gegen die USA, die die PLA auf die Terrorliste gesetzt haben.«

Auf der »Terrorliste« des realen Imperialismus– Wortungetüm hin oder her – stehen Organisationen und Gruppen ganz unterschiedlichen Typus. Sie agieren in Afrika wie in Südamerika und in Asien. Die hier vorliegende jW-Beilage widmet sich ihnen und dem bewaffnet geführten Kampf gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Besatzung heute – und also im Wandel der Formen westlicher Herrschaftsausübung.

Vorgestellt werden: Die FARC in Kolumbien (André Scheer, Seite 2) die Frente Polisario in der Westsahara (Raoul Wilsterer, Seite 5), erwähnte nepalesische Guerilla (Hilmar König, Seite 8), der palästinensische Widerstand (Werner Pirker, Seite 3). Unter die Lupe nehmen Knut Mellenthin (Seite 6) und Joachim Guilliard (Seite 7) zudem den – zum Teil unter religiösen Vorzeichen geführten – Widerstand in besetzten oder umkämpften Ländern wie Irak, Afghanistan, Jemen und Somalia. Schließlich beschäftigt sich Sri Lanka-Spezialist John P. Neelsen mit der als »Terrororganisation« geächteten tamilischen LTTE (Befreiungstiger) nach deren militärischer Zerschlagung vor anderthalb Jahren (Seite 4).

Nicht auf den US-EU-Terrorlisten stehen übrigens die meisten im Ostkongo agierenden Banditengruppen.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/264450