Am 9. September 1945 fand in der Werner-Seelenbinder-Kampfbahn in Berlin-Neukölln der erste »Tag der Opfer des Faschismus« statt. Überlebende der Konzentrationslager und Zuchthäuser des faschistischen Deutschland hatten im Sommer des Jahres dem Berliner Magistrat vorgeschlagen, einen solchen Gedenktag zu begründen. Die Kundgebung in Berlin und die in vielen anderen Städten der vier Besatzungszonen wurden eindrucksvolle Manifestationen. Der Konsens »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« war ihre Grundlage, er überdauerte die Ost-West-Konfrontation und das Ende der DDR – trotz aller Rückschläge und Spaltungen.
In diesem Jahr führt diese Maxime mehr als 100 Initiativen und Organisationen auf dem Marx-Engels-Forum zusammen – so viele wie noch nie seit 1990. Es scheint nötig, Widerstand anzumelden. Krieg ist für die Bundesregierungen seit dem Anschluß der DDR Routine. Die Lunte für die Auflösung Jugoslawiens wurde noch im sogenannten Vereinigungsjahr maßgeblich in Bonn gezündet. Die Bilder, die den damaligen Finanzminister Theodor Waigel freudestrahlend bei der Übergabe von 18 Milliarden D-Mark zur Finanzierung des »Begrüßungskrieges« (Volker Braun) der USA gegen den Irak 1991 in Washington zeigen, waren und sind eine passende Illustration zur erweiterten Bundesrepublik. Seitdem reißt die Kette der Militäreinsätze mit deutscher Beteiligung nicht ab, wurde die Bundeswehr zu einer weit über das NATO-Territorium hinweg interventionsfähigen Armee umgebaut gemäß den 1992 verabschiedeten Verteidigungspolitischen Richtlinien, wonach Märkte und Rohstoffe zu sichern seien. Die Beteiligung an dem Angriffskrieg der NATO 1999 gegen Jugoslawien unter Bruch des Völkerrechts und des Grundgesetzes, aber mit Billigung des höchsten deutschen Gerichts, bedeutete eine neue Zäsur. Seitdem ist die dafür vorgenommene »Weiterentwicklung des Völkerrechts« Gewohnheitsregel, die Legitimität etwa des Afghanistan-Krieges und der in ihm verwendeten militärischen Mittel wurde vom Bundesverfassungsgericht gerade wieder bestätigt. Neokoloniale Ordnungskriege, die bis 1990 eingehegt werden konnten, sind ein Lebenselement der wieder in ganz Deutschland etablierten Gesellschaft. Am Sonnabend, dem 15. September, wird sich der Protest dagegen in Berlin artikulieren.
Die besonders von der SPD/Grünen-Regierung zwischen 1998 und 2005 forcierte Militarisierung der Außenpolitik bedingt, daß nationalistische, rassistische und neofaschistische Tendenzen im Innern dieses Landes Auftrieb erhalten. Mehr als 120 Menschen wurden seit dem Fall der Mauer von Neonazis erschlagen oder verbrannt. Seit der nationalistischen Welle von 1989/90 verabschiedet der Bundestag eine rassistische juristische Konstruktion nach der anderen – das jüngste Beispiel ist die im Juli verabschiedete Novellierung des Zuwanderungsgesetzes, mit der die Sortierung von Menschen nach Nützlichkeitskriterien verschärft wird. Mit der Abschaffung des Asylrechts 1993 verwirklichten die etablierten Parteien einen Hauptpunkt der neonazistischen Programmatik. Das Entsetzen der Regierungsparteien über neofaschistische Mordattacken entbehrt vor diesem Hintergrund nicht der Heuchelei. Diese Feststellung entbindet nicht von der Pflicht, alles zu tun, um jeden Gegner der braunen Ideologen und Gewalttäter zu unterstützen. Unbenommen bleibt das im Grundgesetz verankerte Recht auf Widerstand. Diejenigen, von denen in dieser Beilage berichtet wird, haben es sich genommen, denn es wird nicht verordnet oder verliehen. Die Erinnerung daran ist auch ein Vermächtnis jenes Tages vor 62 Jahren. Daher: Demonstrieren wir den Anspruch auf dieses Recht am Sonntag von 13 bis 18 Uhr zwischen dem Roten Rathaus Berlins und dem Spreeufer.