01.09.2007 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Solidarität – was sonst!

Kontinuität über sechs Jahrzehnte: Eine Zeitung im Geiste und an der Seite der antiimperialistischen Befreiungsbewegung

Peter Rau

Einmal mehr laden an diesem Wochenende Berliner Journalisten zu ihrem Solidaritätsbasar auf den Alexanderplatz ein. Und einmal mehr gehört auch die junge Welt zu den Akteuren dieser traditionsreichen Veranstaltung alljährlich am letzten Samstag im August (Ausnahmen bestätigen die Regel) – wie beim Start des »Solibasars« vor fast vier Jahrzehnten. 1969 war er – noch unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – vom VdJ, dem Journalistenverband der DDR, ins Leben gerufen worden, einem Grundprinzip der internationalen Arbeiterbewegung und so auch der sozialistischen Gesellschaft einen weiteren sinnfälligen Ausdruck zu geben. Daß die Junge Welt als weltweit einzige deutschsprachige Tageszeitung der Jugend und Organ des DDR-Jugendverbandes FDJ von Beginn an auf dem Alex dabei war, verstand sich quasi von selbst; es entsprach ihrem Selbstverständnis. Und dem des gleichnamigen Verlages, der sich bei seiner Gründung 1952 laut Eintrag ins Handelsregister die Herausgabe »von Broschüren, Zeitungen, Zeitschriften und anderen Druckerzeugnissen zur Schulung und Bildung der deutschen Jugend im Geiste der Demokratie und der Völkerverständigung« zur Aufgabe gemacht hatte.

Daß die in dieser Tradition stehende junge Welt von heute ebenfalls dazu steht, unterscheidet sie wesentlich von jenem geschäftsmäßig betriebenen Journalismus, der angeblich objektiv, unabhängig, überparteilich usw. daherkommt und doch nichts anderes im Sinn hat als die Bewahrung der gegebenen Herrschaftsverhältnisse (und folglich mit Solidaritätsbasaren unserer Art eher nichts am Hut hat).

Korea, Kuba, Vietnam ...

Damals, in den Anfangsjahren des Basars, galt die internationale antiimperialistische Solidarität insbesondere dem Kampf des vietnamesischen Volkes gegen die 1964 begonnene Aggression der USA, deren letzte Truppen erst 1975 mit dem Fall der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon aus dem Land vertrieben wurden. Aber auch Hilfe und Unterstützung für das revolutionäre Kuba wie für die jungen Nationalstaaten, die sich in den 60er Jahren insbesondere in Afrika vom Joch kolonialer Herrschaft befreien und ihre staatliche Unabhängigkeit erringen konnten, war ein dringendes Gebot jener Zeit.

Dennoch: 1969 war beileibe keine Zäsur, kein Neuanfang in Sachen Solidarität. Auch und insbesondere nicht für die Junge Welt. Bereits in ihrem Gründungsjahr – am 12. Februar 1947 war die erste Ausgabe, damals noch als Wochenzeitung mit einer Startauflage von 125000 Exemplaren, erschienen – schrieb sie ein Kapitel journalistischer Solidaritätsgeschichte, zwar noch ohne internationale Dimension, aber doch schon unmittelbar praktisch wirksam werdend: Nach einer Hochwasserkatastrophe an der Oder mobilisierte die von der Freien Deutschen Jugend herausgegebene Zeitung ihre Leser zum Einsatz »Hilfswerk Oderbruch«; auf das von ihr eingerichtete Spendenkonto wurden bis Juni 87900 Mark eingezahlt.

Vier Jahre später, im August 1951, war der Jugendverband der DDR als Ausrichter der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten Gastgeber für 26000 Mädchen und Jungen aus 104 Ländern. Zu den stürmisch begrüßten und folglich auch im Mittelpunkt des Interesses der JW-Berichterstatter stehenden Gästen gehörten neben den Abgesandten der Sowjetjugend mit ihren Kriegshelden insbesondere die Soldaten der (nord-)koreanischen Volksarmee, die seit einem Jahr im Kampf gegen südkoreanische und US-Truppen standen, und die der Kolonialmacht Frankreich trotzenden Partisanen Vietnams.

Für Schlagzeilen sorgte hier vor allem die junge Französin Raymonde Dien, die in ihrer Heimat unter Lebensgefahr einen Zug mit Waffen für die Kolonialtruppen in Indochina blockiert hatte. All das und noch viel mehr fand gebührende Widerspiegelung in den 21 jeweils achtseitigen Festivalausgaben – Gesamtauflage 13 Millionen –, mit denen die Junge Welt seinerzeit quasi ihren Probelauf als Tageszeitung absolvierte. Ab 1. März 1952 erschien sie dann sechsmal wöchentlich; die Auflage wurde mit 261000 angegeben. Das war angesichts eines bereits über eine Million Mitglieder zählenden Jugendverbandes, für den die Zeitung ja in erster Linie gedacht und gemacht war, nicht eben viel, und trotzdem eine gewichtige, unüberhörbare Stimme im Ringen um Frieden und Fortschritt, im Kampf gegen Atomkriegsgefahr, in der Solidarität mit Gleichgesinnten weltweit.

Solidarität per Postkarte

In einer zum 40. Jahrestag der Jungen Welt 1987 erstellten Chronik resümierte die Redaktion unter der Überschrift »Solidarität hilft siegen«: »Das Mitwirken der Jungen Welt bei der Erziehung der Jugend zum proletarischen Internationalismus spiegelt sich nicht nur in grundsätzlichen Artikeln und Berichten über den antiimperialistischen Kampf der Völker wider. Er findet seinen praktischen Ausdruck in den Solidaritätsaktionen, die die Zeitung organisiert. Die Zahl der Leser, die sich an ihnen beteiligen, geht in die Millionen.«

»Rettet Djamila!« war eine solche Aktion, die auch international für Furore sorgten. Sie galt 1958 der algerischen Freiheitskämpferin Djamila Bouhired, die von der französischen Militärjustiz zum Tode verurteilt worden war. Vielleicht auch mit Hilfe der ersten JW-Postkartenaktion – adressiert an »Président de la République Francaise, Monsieur Coly, Paris, Palais de l’Elysée« – konnte die Hinrichtung verhindert werden. Letztlich von Erfolg gekrönt war auch das Engagement der inzwischen mit einer Tagesauflage von mehr als 300000 Exemplaren ausgewiesenen FDJ-Zeitung knapp zehn Jahre später, als es galt, den weltweit bekannten griechischen Komponisten und Patrioten Mikis Theodorakis aus dem Kerker jener Obristenclique zu befreien, die sich im April 1967 in Athen an die Macht geputscht hatte. Und unvergessen natürlich ist der 1971/1972 weltweit geführte Kampf um die Freilassung der von der Todesstrafe bedrohten US-amerikanischen Bürgerrechtlerin und Kommunistin Angela Davis, an dem nicht zuletzt die Junge Welt, u. a. ebenfalls per Postkartenaktion – »1000000 Rosen für Angela!« – Anteil gehabt haben dürfte: 1973 war die »schwarze Rose aus Alabama« (so der Titel einer JW-Tatsachenserie) umjubelter Gast der X. Weltfestspiele, die wiederum in der DDR-Hauptstadt stattfanden.

Als im selben Jahr die demokratisch gewählte Volksfrontregierung in Chile von der Reaktion geschleift und der sozialistische Präsident Salvador Allende ermordet wurde, reihte sich selbstverständlich auch die Jugend der DDR – und mit ihr ihre Zeitung – ein in die internationale Solidaritätsbewegung mit den Opfern der Pinochet-Diktatur. Für sie wurde »Don Lucho« zur Symbolfigur des Widerstandes, der Generalsekretär der KP Chiles und Adressat einer weiteren JW-Postkartenaktion: »1000000 Blumen für Luis Corvalan!« Viele andere noch wären zu nennen: so Reverend Ben Chavis und die US-Bürgerrechtsaktivisten der Wilmington X, die Antiapartheidkämpfer der Sharpeville Six und natürlich Nelson Mandela, die Galionsfigur des Widerstandes in Südafrika. Dem seit über zwei Jahrzehnten gefangengehaltenen ANC-Führer widmete die JW zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1988 eine ganz besondere Plakataktion: Das mit den Namen von Leserinnen und Lesern gestaltete ganzseitige Porträt machte wegen der Fülle der dazu eingegangenen Spenden auf das Solidaritätskonto mehrere zusätzliche Zeitungsseiten erforderlich – und das bei einer Auflage von inzwischen 1,5 Millionen Exemplaren.

Blauhemd-»Diplomatie« ...

Ein weiteres Kapitel antiimperialistischer Solidarität der DDR-Jugend war verbunden mit der vom Jugendverband 1964 beschlossenen Entsendung sogenannter Freundschaftsbrigaden zur tatkräftigen Entwicklungshilfe in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Daß diese »Diplomaten im Blauhemd« – beginnend mit zum Teil langjährigen Einsätzen in Mali und Algerien – ein beliebtes Ziel von Redakteuren der FDJ-Zeitung wurden, versteht sich von selbst. Weniger selbstverständlich für Journalisten war ihre Einbindung in diese Brigaden über mehrere Monate hinweg. So geschah es zum Beispiel auf Kuba, aber auch in Ländern wie Angola und Nicaragua, in denen die konterrevolutionäre Gefahr noch keineswegs gebannt war.

... und Lederjacken-»Spende«

Im Verlauf von 25 Jahren waren bis 1989 solche FDJ-Brigaden in mehr als 20 Ländern tätig; sie halfen u. a. in der Landwirtschaft wie beim Bau von Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen und vor allem in der Ausbildung von Facharbeitern. Und ganz am Rande versorgten sie auch die Redaktion regelmäßig mit landestypischen Produkten oder Souvenirs, die dann – wie die zur Pflicht gewordenen Mitbringsel von Auslandsreisen der Redakteure – beim alljährlichen Solibasar wiederum die Stände der Jungen Welt zu einem besonderen Anziehungspunkt der meist über hunderttausend Besucher werden ließen. Das muß hier allerdings mit Einschränkungen gesagt werden, denn manches aus diesem Angebot fand bereits im Vorfeld seinen Weg zu den solispendenwilligen Lesern: über Versteigerungen, die vorab in der Zeitung ausgeschrieben wurden.

Auf diesem Wege konnten übrigens auch begehrte Trophäen ganz anderer Art dem guten Zweck der Solidarität zugeführt werden – wie das Gelbe Trikot von Friedensfahrtsieger Olaf Ludwig, eine Gitarre des Rocksängers Peter Maffay oder eine von Rio Reiser signierte Ton-Steine-Scherben-LP und, nicht zu vergessen, die seinerzeit für Schlagzeilen sorgende Lederjacke von Udo Lindenberg – ein Geschenk für Erich Honecker, das der DDR-Staatschef der Jungen Welt zur Verfügung gestellt hatte (und von einem Jugendmode-Kollektiv aus dem Bezirk Rostock ersteigert wurde).

Wiederbelebung

Daß solche Traditionen tätiger Solidarität mit dem Ende der DDR dem Vergessen preisgegeben werden und für immer der Vergangenheit angehören sollten, schien in den Wirren der »Wendezeit« beschlossene Sache. Anfang 1990 von der FDJ abgekoppelt und in die Unabhängigkeit der drohenden Marktwirtschaft entlassen, hatte auch die seit Mai 1994 kleingeschriebene junge Welt zunächst mit sich selbst, einer zeitweiligen Orientierungslosigkeit und dem Kampf ums eigene Überleben bei permanent sinkender Auflage zu kämpfen – Konkurs und Wiederauferstehung im April 1995 inklusive. Doch nicht zuletzt auch durch die hierbei erfahrene Unterstützung seitens der Leserinnen und Leser mag der vorübergehend ruhende Solidaritätsgedanke neue Nahrung erhalten haben. Wie auch immer: Allen Widerständen und widrigen Umständen zum Trotz machten sich Redaktion und Verlag gemeinsam mit einigen wenigen Bündnispartnern aus der linken Journalistenszene an die Wiederbelebung des Solidaritätsbasars, dessen Neuauflage 1996 mit Unterstützung der heute zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gehörenden IG Medien gestartet werden konnte. Nur am Rande sei auf die seit 1996 ebenfalls alljährlich von der jW organisierten Rosa-Luxemburg-Konferenzen verwiesen, die sich im Zeichen des internationalen Gedankenaustauschs ebenfalls zu einer vielbeachteten Tribüne der Solidaritätsbewegung gemausert haben. Als ein sinnfälliger Ausdruck dafür können die Grußbotschaften von Mumia Abu-Jamal angesehen werden. Der seit über 20 Jahren in der Todeszelle sitzende US-Bürgerrechtskämpfer hat zudem seit fast sieben Jahren mit seiner wöchentlichen Kolumne einen festen Platz in dieser Zeitung.

Mit anderen Worten: Wenn es um die Solidarität geht, ist die junge Welt längst wieder eine erste Adresse.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/263512