02.08.2006 / 0 / Seite 1 (Beilage)

Vereint gegen »Agrarfabriken«

Wenn es um die EU-Subventionen geht, ähneln sich zuweilen die Argumente rechter und linker Kritiker. Ein Plädoyer für genaueres Hinsehen

Wolfgang Jahn und Jana Frielinghaus

Seit März diesen Jahres genießt die »Initiative für Transparenz bei EU-Agrarsubventionen« erhebliche mediale Aufmerksamkeit. Nahezu alle überregionalen Zeitungen berichteten über das Ziel des Bündnisses, eine Veröffentlichung der Empfänger in der BRD zu erreichen – was bislang von der Bundesregierung blockiert wird. Das Thema wird seither immer wieder von Presse und Fernsehen aufgegriffen. Tenor der Dossiers und Reportagen: Einerseits profitierten von den Brüsseler Beihilfen Nahrungsmittelkonzerne und europäischer Hochadel (die Queen von England erhält 700000 Euro jährlich, Gloria von Thurn und Taxis 400000). Gleichzeitig tauchen in vielen Titelzeilen erneut die berüchtigten und nicht genauer definierten »Agrarfabriken« auf. Klar ist am Ende wieder einmal: Absahner sind auch und vor allem die ostdeutschen Großbetriebe.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß konservative und linke Kritiker bisweilen gemeinsam eine stärkere bis ausschließliche Förderung der sogenannten bäuerlichen Landwirtschaft fordern. Die Transparenzinitiative wird dabei von mittlerweile 30 Einzelorganisationen getragen, die eher dem linken und entwicklungspolitischen Spektrum zuzuordnen sind. Dem Bündnis hat sich jetzt auch die Linksfraktion im Bundestag angeschlossen. Am 28. Juni verlangte sie im Parlament die Offenlegung der Agrarbeihilfenempfänger. Bislang gelten Subventionen in der BRD als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Keine Frage, daß dies geändert werden muß.

Die Transparenzinitiative geißelt eine ungleiche Verteilung der EU-Agrarsubventionen zugunsten der großen Betriebe: 0,5 Prozent bekommen demnach jeweils mehr als 300000 Euro jährlich, während 70 Prozent der Betriebe jeweils nur bis zu 10000 Euro erhalten. Kleine, arbeitsintensive Betriebe würden benachteiligt. Gefordert wird eine sogenannte Kappungsgrenze von 300000 Euro Beihilfen je Unternehmen. Auch die Linksfraktion meint, daß »die Großen« zu viel bekommen. Die Beihilfen würden in der »derzeitigen Form strukturell die Arbeitslosigkeit auf dem Lande fördern«.

Die Gegenüberstellung suggeriert, daß wenige zu Lasten der Masse profitieren. Es ist jedoch nicht seriös, nur die Subventionshöhe je Betrieb ohne jeglichen Bezug zu anderen wirtschaftlichen Kennziffern anzuführen. Zur Wahrheit gehört auch, daß Klein- und Nebenerwerbsbetriebe mit 421 Euro den größten durchschnittlichen Betrag bezogen auf den Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche bekommen. Der Wert bei den sogenannten Haupterwerbsbetrieben und bei den Kapitalgesellschaften und Genossenschaften liegt bei 396 bzw. 399 Euro. Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe an den 371400 Einzelbetrieben der BRD liegt übrigens bei 55 Prozent.

Landwirtschaft als Zubrot

In der Mehrheit dieser kleinen Betriebe arbeitet ein Ehepartner in der Landwirtschaft, der andere hat einen »normalen« Job. Der Spiegel etwa beschrieb am 3. Juni das Leid einer Schwarzwaldbäuerin, die für ihren ganzen Betrieb mit zehn Kühen und zwei Ferienwohnungen insgesamt »nur« 11000 Euro jährlich an Fördermitteln erhält, weshalb die Familie hauptsächlich vom Job des Ehemannes leben müsse. Der Betrieb bringe nur 20000 Euro Umsatz pro Jahr. Dem wird unter anderem die Riesen-Genossenschaft Barnstädt mit 6400 Hektar Fläche und großen Viehbeständen entgegengestellt, die 2,4 Millionen Euro pro Jahr abfaßt. Das Unternehmen hat allerdings auch 180 Mitarbeiter, wie der Spiegel konzediert – macht 13300 Euro pro Beschäftigten.

Gleichwohl verfügen die Großbetriebe im Osten dem aktuellen Agrarbericht der Bundesregierung zufolge im Durchschnitt pro Arbeitskraft mit 21712 Euro über die meisten Mittel. In den Haupterwerbsbetrieben sind es 12446, bei den Nebenerwerbslandwirten 11438 Euro. Die Unterschiede kommen dadurch zustande, daß die Großbetriebe insbesondere im Ackerbau sehr viel weniger Arbeitskräfte benötigen. Die Flächen sind traditionell größer und lassen sich dadurch leichter und schneller mit moderner Technik bewirtschaften. Dabei erhielten diejenigen Unternehmen, die sich frühzeitig vom Verlustgeschäft Viehwirtschaft verabschiedeten, aufgrund der einseitigen EU-Förderpolitik ab 1992 das dickste Geld aus Brüssel. Hier kam es tatsächlich in »einigen« Betrieben, wie die Transparenzinitiative schreibt, zu Fördersätzen von bis zu 120000 Euro je Arbeitskraft.

Hohe Belastungen Ost

Das Gros der ostdeutschen Genossenschaften und Kapitalgesellschaften ist indes weiterhin auf die gezahlten Mittel angewiesen. Käme es zur Einführung der geforderten Kappungsgrenze, müßten die meisten Konkurs anmelden. Vielfach gingen damit die letzten Arbeitsplätze im Dorf verloren. So entsprachen die öffentlichen Zahlungen in Thüringen laut Agrarbericht des Landes im Durchschnitt 92 Prozent der vom Betrieb erwirtschafteten Einkommen. Die sind ausgesprochen bescheiden. In Brandenburg kommen Beschäftigte in der Landwirtschaft meist auf fünf bis sechs Euro Stundenlohn brutto. Und selbst die von den Leitmedien gern als »rote Bonzen« titulierten Geschäftsführer der Unternehmen genehmigen sich selten mehr als das, was ein VW-Arbeiter am Band verdient.

Die pro Arbeitskraft höheren Beihilfen werden im Osten auch dadurch rasch neutralisiert, daß die Betriebe nach der Wende einerseits Darlehen in Millionenhöhe aufnahmen, um dringend notwendige Investitionen in Stallgebäude und die Umstellung auf gesetzlich vorgeschriebene tier- und umweltgerechtere Haltungsverfahren einerseits und den Ersatz der vielfach maroden Feldtechnik andererseits zu tätigen. Im Sparstrumpf hatten die wenigsten etwas – im Gegenteil: Die meisten konnten nur weiter existieren, weil die Altschulden aus DDR-Zeiten mit einem sogenannten Rangrücktritt versehen wurden, also in der Jahresbilanz nicht auftauchten. Diese Verbindlichkeiten wiederum resultierten daraus, daß die meisten LPG für zahlreiche infrastrukturelle Maßnahmen im Dorf verantwortlich waren. So machen Zinsen und Tilgungen heute einen nicht unerheblichen Teil der Aufwendungen aus.

Ein weiterer wesentlicher Kostenfaktor im Osten sind die Pachten, denn die Unternehmen besitzen auch heute nur einen Bruchteil der von ihnen bewirtschafteten Flächen. Selbst am subventionierten Flächenerwerbsprogramm der Treuhandtochter BVVG konnten sie aus den gerade beschriebenen Gründen vielfach nicht oder nur begrenzt teilnehmen. Derweil erhöht sich auch in Westdeutschland der Anteil der Pachtflächen, weil jährlich 10000 bis 12000 Familienbetriebe aufgegeben werden müssen. Hier wie im Osten kommt das Problem hinzu, daß der Boden immer häufiger von kapitalstarken Nichtlandwirten aufgekauft wird.

Unterschiede in der Subventionshöhe je Arbeitskraft haben bislang weniger mit der reinen Größe eines Betriebes als mit der Produktionsstruktur zu tun. Vor Inkrafttreten der jüngsten EU-Agrarreform, also bis Ende 2004, gab es Prämien unter anderem für den Anbau von Getreide und Ölfrüchten, für Bullen und Mutterkühe, nicht jedoch für Speisekartoffeln, Grünland, Schweine und die arbeitsintensive Milchviehhaltung. Im Zuge der mit der Reform eingeleiteten »Entkopplung« der Subventionen von der Produktion wurde bei der Berechnung der Betriebsprämien die bisherige Höhe der Zahlungen berücksichtigt. Das ist zumindest für die ostdeutschen Unternehmen gerechtfertigt, da sie im Vertrauen auf die Rahmenbedingungen investiert und Kredite aufgenommen haben. Innerhalb der nächsten sieben Jahre werden die heute noch zwischen den Betrieben bestehenden Unterschiede verschwinden. Dann wird es eine regionale Einheitsprämie je Hektar geben.

Fazit: Ohne Subventionen können in Europa weder Klein- noch Großbetriebe – sofern es sich nicht um Großgrundbesitz handelt – überleben. Die Linke befindet sich nun in dem Dilemma, daß sie mit Marx eigentlich effiziente Wirtschaftsstrukturen befürworten müßte, wie sie in den großen Betrieben gegeben sind. Nur mit ihnen läßt sich langfristig auch die Gesamtsumme der Subventionen zurückfahren. Unter kapitalistischen Vorzeichen muß sie zugleich für die Erhaltung anständiger Hilfen für historisch überlebte landwirtschaftliche Produktionsformen plädieren, denn in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit wäre die Alternative für die Kleinbauern vielfach sozialer Absturz. Fatal ist es aber, wenn die »bäuerliche« Produktionsweise idealisiert und auch umweltpolitisch als Alternative dargestellt wird. Abgesehen davon sollte es in der Linken zumindest ein Bewußtsein dafür geben, daß die insgesamt eher kleinteilige Produktionsstruktur der westeuropäischen Landwirtschaft Ergebnis einer jahrzehntelangen Konservierungspolitik ist, die nach 1945 viel mit Ideologie zu tun hatte: Sie war auch eine Reaktion auf die osteuropäi­sche »Zwangskollektivierung«.

Neoliberale Einpeitscher

In der Subventionsdebatte spielt seit längerem auch die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«, eine vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall im Jahr 2000 gegründete Lobbyorganisation und Denkfabrik, eine keineswegs zu unterschätzende Rolle. Sie hat sich die komplette Abschaffung der Agrarsubventionen auf die Fahnen geschrieben. Nahrungsmittel könnten billiger auf dem Weltmarkt eingekauft werden, was zu niedrigeren Steuern und Verbraucherpreisen führen würde, so deren Experten. Hier geht es einzig darum, innerhalb der WTO günstigere Verwertungsbedingungen für das Industrie- und Dienstleistungskapital zu schaffen. Die heimische Landwirtschaft soll der Profitmaximierung geopfert werden.

Die Forderung nach Absenkung oder gar Abschaffung der Direktzahlungen an die Landwirte kommt auch von linken Entwicklungspolitikern, deren Ziel ein besserer Zugang der Entwicklungsländer zu den internationalen Märkten ist. Abgesehen davon, daß ein vollkommen liberalisierter Welthandel vielfach nicht die Erhaltung einer spezifischen lokalen Nahrungsmittelproduktion fördert und auch den Kleinbauern in Entwicklungsländern nicht helfen würde, spielt man damit den Deregulierern in die Hände.

Ein Radikalabbau der Direktzahlungen an die Landwirte würde auch innerhalb der EU zu einer Zerstörung der für die Entwicklungsländer eingeforderten Ernährungssouveränität und zum Zusammenbrechen regionaler und damit umweltpolitisch wie volkswirtschaftlich günstigerer Wirtschaftskreisläufe führen. Schon jetzt liegen wertvolle lokale Ressourcen massenhaft brach. Mittlerweile besteht in unseren Breiten darüber hinaus die Gefahr, daß der Anbau etwa von Getreide als Energiepflanze eine ernsthafte Konkurrenz zur Nutzung des Bodens für die Erzeugung von Lebensmitteln wird.

Die Streichung der Exportsubventionen ist dagegen zweifellos erforderlich, da mit ihrer Hilfe Preisdumping auf den Weltagrarmärkten finanziert wird, das die bäuerliche Produktion in Entwicklungsländern zerstört.

Auch von den Medien wird immer wieder die Höhe des EU-Agrarhaushaltes angegriffen. So war in der erwähnten Spiegel-Ausgabe zu lesen: »Allein Deutschlands Steuerzahler und Konsumenten kostet diese Förderpolitik knapp 50 Milliarden Euro im Jahr. Für die Hälfte des Geldes könnten sie die gesamte deutsche Agrarproduktion – von der Kartoffel bis zum Kotelett – auf dem Weltmarkt kaufen«. Abgesehen davon, daß der Wert der deutschen Agrarproduktion bei gut 48 Milliarden Euro liegt und daß die Weltmarktpreise, wenn diese Mengen plötzlich nachgefragt würden, nach oben schnellen würden, ist unerklärlich, wie das Magazin auf diese Zahl kommt. Die gesamten Agrarausgaben der EU lagen 2004 bei 43,6 Milliarden Euro. Die BRD zahlte in diesen Topf sechs Milliarden ein, die an Bauern, Großbetriebe, Lebensmittelkonzerne und Fürstenhäuser gingen. Hinzu kommen einige nationale Förderprogramme.

Apfel-Birnen-Vergleiche

Der britische Premierminister Anthony Blair sorgte während der EU-Ratspräsidentschaft des Vereinigten Königreichs für Schlagzeilen, als er eine drastische Reduzierung der Agrarsubventionen zugunsten der Wissenschafts- und Technologieförderung verlangte. Tatsächlich macht der Agrarhaushalt die Hälfte des EU-Budgets aus. Doch immer wieder wird hier ausgeblendet, daß die Förderung der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft die einzige ist, die fast ausschließlich im EU-Haushalt budgetiert wird. Gleichzeitig liegt der Anteil der Agrarausgaben am Bruttoinlandsprodukt der alten EU-15, wenn man EU-Mittel und nationale Haushalte zusammenrechnet, bei lediglich 0,42 Prozent. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung der EU-15 machen demgegenüber 0,78 Prozent aus.

https://www.jungewelt.de/beilage/art/263167