14.01.2014 / Schwerpunkt / Seite 3

Militärs setzen »Expertenrat« ein und werten »nein« als Landesverrat

Sofian Philip Naceur
Nach der Absetzung des äyptischen Staatschefs Mohammed Mursi durch das Militär im Juli 2013 beauftragte Interimspräsident Adli Mansur ein zehnköpfiges Expertenkomitee mit der Überarbeitung der damals erst acht Monate alten Verfassung. Das von Mansur ernannte Gremium legte einen Monat später eine erste überarbeitete Fassung des Textes vor und gab diesen vorläufigen Entwurf an ein zweites Komitee weiter, die 50köpfige verfassungsgebende Versammlung. Zum Vorsitzenden ernannt wurde Amr Mussa, ägyptischer Karrierediplomat, jahrelang Außenminister unter Staatspräsident Hosni Mubarak und von 2001 bis 2011 Vorsitzender der Arabischen Liga.

Auch die in Ägypten meist »Komitee der 50« genannte verfassungsgebende Versammlung war wie das Expertenkomitee keineswegs demokratisch legitimiert, sondern wurde von Präsident Mansur ernannt. Die hinter verschlossenen Türen die Fäden ziehenden Militärs dürften bei der Vergabe der Posten jedoch ein Wörtchen mitgeredet haben. Der Staatschef gab sich bei der Besetzung der Versammlung alle Mühe, das Demokratiedefizit bei deren Einberufung durch breite Repräsentanz wettzumachen. Neben Vertretern der koptischen und katholischen Kirche, Gewerkschaften, Frauenverbände, der revolutionären Jugend, der Armee, Industrieverbände und zahlreicher Parteien aus dem liberalen Lager wurden auch Arbeiter und einige Berufsverbände bedacht. Nach Bekanntgabe der Besetzung betonten Regierungsvertreter immer wieder, man habe mit der Sitzvergabe an möglichst viele gesellschaftlich relevante Kräfte ein Höchstmaß an Repräsentanz erreicht. Dennoch riß die Kritik an den Besetzungsformalitäten nicht ab. So wurden zum Beispiel nur die staatlich kontrollierten Gewerkschaften berücksichtigt, nicht aber unabhängige. Das linke politische Spektrum wurde nur von einem Vertreter der regierungstreuen Tagammu-Partei bedient und die Islamisten, die bei Wahlgängen seit 2011 stets hohe Stimmenanteile eingefahren hatten, mit nur zwei Posten bedacht. Einer ging an die Salafisten, der andere an ein früheres Mitglied der Muslimbruderschaft. Die Bruderschaft selbst ging leer aus und boykottierte die Versammlung. Das regimenahe wirtschaftsliberale Lager war hingegen deutlich überrepräsentiert.

Im Dezember stellte das »Komitee der 50« den Entwurf vor. Seitdem laufen am Nil Kampagnen, die die Menschen auffordern, der Verfassung ihren Segen zu geben. Plakate in der Innenstadt von Kairo, TV-Werbespots und Marketingkampagnen im Internet und auf Mobiltelefonen werben für die Verfassung. TV-Spots zeigen Bilder der Massenproteste gegen Mursi am 30. Juni 2012. Ägyptens Streitkräfte haben gar ein Lied komponieren lassen und rufen damit zur Teilnahme am Referendum auf. Das 247 Artikel zählende Dokument dürfte mit deutlicher Mehrheit angenommen werden.

Die Abstimmung wird von Interimsregime und Armee zu einer Frage der nationalen Sicherheit aufgebauscht. Ein Nein zur Verfassung wird mit Landesverrat gleichgesetzt. »Letztes Jahr wurden diejenigen, die die Verfassung ablehnten, von der Bruderschaft als ›Ungläubige‹ betrachtet, diejenigen, die heute Nein sagen werden als ›Verräter‹ beschimpft«, sagte Ayman Montasser von der Partei Starkes Ägypten in der ägyptischen Zeitung Mada Masr. Auch seine vom Muslimbrüder-Abweichler Abdel Monim Aboul Foutouh geführte Partei lehnt das Dokument ab. Vier ihrer Mitglieder waren erst vergangene Woche vorläufig verhaftet worden, weil sie im Zentrum von Kairo »Nein«-Plakate aufgehängt hatten.
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