14.01.2014 / Schwerpunkt / Seite 3

Hintergrund: Widersprüchlich und vage

Die zur Abstimmung vorliegende Verfassung ist kein neu formuliertes Dokument, sondern lediglich eine Neufassung des 2012 von Muslimbrüdern und Salafisten entworfenen Textes. Während der höchst strittige Scharia-Artikel, von vielen Seiten als Einfallstor für eine Islamisierung der Gesetzgebung kritisiert, entfernt wurde, bestätigte die verfassungsgebende Versammlung den Artikel zu Militärgerichtsbarkeit für Zivilisten und weitete ihn sogar noch aus. Militärtribunale für Zivilisten wurden von den Islamisten 2012 erstmals mit Verfassungsrang gekrönt und sind am Nil ein oft genutztes Mittel der Streitkräfte, um Oppositionelle abseits der zivilen Gesetzgebung zu verurteilen. Die Armee sichert sich auch in der neuen Verfassung politischen Einfluß und schirmt ihr Budget gegen Ägyptens Exekutive ab. Der Verteidigungsminister muß zwingend aus den Reihen der Armee kommen und von dieser abgenickt werden.

Dalia Hussein, Mitglied der Ägyptischen Sozialistischen Partei und Jura-Dozentin an der Universität von Zagazig, meint, die neue Verfassung sei ein Schritt in die richtige Richtung. Vor allem Frauenrechte würden gestärkt. Artikel 11 schreibt die politische, wirtschaftliche und soziale Gleichstellung von Frauen und Männern fest. »Die Verfassung nimmt den Staat in die Pflicht, die Rechte von Frauen sicherzustellen«, so Hussein. Kritik äußert sie an Artikel 77, der die Koalitionsfreiheit einschränke, da nur eine Gewerkschaft pro Berufsgruppe erlaubt sei. Ägypten habe jedoch UN-Verträge ratifiziert, die die Koalitionsfreiheit schützten. Während Artikel 13 dem Staat auferlegt, Beschäftigtenrechte zu schützen, und Artikel 15 Streiks explizit erlaubt, bleiben die Artikel vage und verweisen auf gültige Gesetze. Im November hatte die Regierung ein Protestgesetz verabschiedet, das die Einschränkung der »Produktion« unter Strafe stellt. Ähnlich sich widersprechend und vage formuliert sind die Artikel zu Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit. (spn)
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