11.11.2013 / Schwerpunkt / Seite 3

30 Jahre für Wiederaufbau

Bis zu 30 Jahre könnte es dauern, bis Syrien sich wirtschaftlich von den Folgen des Krieges wieder erholt hat. Voraussetzung wäre, daß die Kämpfe in naher Zukunft eingestellt werden. Der fast drei Jahre währende bewaffnete Konflikt in dem Land sei ein »schweigender Krieg gegen die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung«, heißt es in einem Bericht der UN-Entwicklungshilfeorganisation (UNDP) und der UN-Organisation für die Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge (UNRWA). Für die einfachen Syrer sei es geradezu unmöglich geworden, sich mit grundlegenden Nahrungsmitteln und Wohnraum zu versorgen. Ersichtlich werde das am privaten Verbraucherverhalten. Laut dem Report ist der Konsum im Jahr 2013 um 47 Prozent zurückgegangen, im Vorjahr 2012 betrug der Rückgang 18 Prozent. Der massive Rückgang des Handels hat zu einem Verlust von 2,3 Millionen Arbeitsplätzen geführt. Ursache des wirtschaftlichen Einbruchs sind die massiven Zerstörungen syrischer Industrieanlagen sowie die harten Sanktionen der USA und der Europäischen Union. Axel Pollock, Mikrofinanzexperte bei der UNRWA, schätzt die Kosten des Krieges in Syrien auf mittlerweile 103,1 Milliarden US-Dollar. Die Summe ist eineinhalb Mal so hoch wie das syrische Bruttoinlandprodukt 2010. Das Wirtschaftswachstum in Syrien lag 2010 bei fünf Prozent.

Hilfsorganisationen gehen von der Faustregel aus, daß ein Land pro Kriegsjahr etwa sieben Jahre braucht, um sich von den Folgen zu erholen. Sehe man aber nach Jugoslawien oder in den Irak, müsse man mit einem Zeitraum von mindestens zehn Jahren rechnen, meinte der Leiter der Hilfsorganisation »Mercy Corps« gegenüber der Agentur IPS.

Während die produktive Arbeit in Syrien dramatisch gesunken ist, blühen der Schwarzhandel und die Kriegswirtschaft. Die Folgen des Krieges in Syrien als auch das Chaos, das der »arabische Frühling« in den östlichen und südlichen Mittelmeerstaaten hinterlassen hat, haben dem Schmuggel mit Waffen, Kämpfern und Flüchtlingen eindrucksvolle Wachstumsraten beschert.

Die UN-Wirtschaftsorganisation für Westasien, zuständig für die Arabische Halbinsel, Ägypten, Sudan, Libyen, Tunesien und Marokko, hat derweil eine »Nationale Agenda für die Zukunft Syriens« ausgearbeitet. Unter dem Vorsitz des früheren syrischen Ministerpräsidenten für Wirtschaft, Abdullah Dardari, trafen sich kürzlich mehr als 150 Ökonomen aus Syrien in Beirut, um über die Folgen des Krieges und den Wiederaufbau zu beraten. Erstmals nahmen mit Beamten der mittleren Ebene auch offizielle syrische Regierungsvertreter an dem Treffen teil. Mit Haitham Manna, Aref Dahlila und Hussein Udad waren auch Vertreter der Opposition eingeladen.

(kl)
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