29.05.2012 / Schwerpunkt / Seite 3

Buchkritik: Folter. Alltäglichkeit des Unfaßbaren

Von 2004 bis 2010 war Manfred Nowak UN-Sonderberichterstatter über Folter. In dieser Eigenschaft bereiste er 18 Länder auf allen Kontinenten, die ihn einluden, die Menschenrechtslage zu evaluieren. Die Ergebnisse seiner Reisen hat er nun in einem Buch zusammengetragen. Seine Bilanz: In mehr als 90 Prozent aller Staaten wird gefoltert. In Europa prangert er vor allem rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten an, auf deren Rücken die EU eine verfehlte Politik betreibe. Nowak fordert die Abschaffung des Dublin-II-Systems, das Asylsuchende dazu zwingt, das Anerkennungsverfahren in dem Land zu durchlaufen, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Etwa in Griechenland sind die Bedingungen für die festgehaltenen Menschen jedoch so dramatisch, daß Nowak für sie den Begriff der Folter angemessen hält. Der Autor verlangt, daß Flüchtlinge selbst entscheiden können, in welchem Land sie sich bis zu ihrer Anerkennung aufhalten wollen, sei es weil sie die jeweilige Sprache beherrschen oder dort bereits Familienangehörige leben.

Das schwierige Thema der Folter behandelt Nowak angemessen, aber trotzdem leicht lesbar. Angst vor Alpträumen muß zunächst niemand haben, der das Buch in die Hand nimmt, aber Empörung über die Zustände in dieser Welt ist nach der Lektüre wahrscheinlich. Und es trägt zu der Diskussion bei, die besonders die USA mit ihrem »Krieg gegen den Terror« losgetreten haben, und die von Medien wie Bild auch in Deutschland forciert wurde und wird: Kann Folter »unter bestimmten Umständen« gerechtfertigt sein? Nowaks Antwort ist eindeutig: Nein. Niemals.

(scha)

Manfred Nowak: Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren. Verlag Kremayr & Scheriau KG, Wien 2012, 239 Seiten, 22,00 Euro
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