02.05.2012 / Schwerpunkt / Seite 3

Drohszenarien: Kalkül mit Krieg

Der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Dschihad Mekdissi, hat am Sonnabend Äußerungen der türkischen Regierung mit scharfen Worten zurückgewiesen. Der türkische Ministerpräsident Tayyib Erdogan hatte in einem Interview mit dem Nachrichtensender Al-Dschasira (Katar) erklärt, sollte Syrien erneut die Grenze der Türkei angreifen, werde man die NATO um Hilfe bitten. Kapitel fünf des NATO-Vertrages sehe vor, einen Mitgliedsland zu Hilfe zu kommen, sollte dieses gefährdet sein. Solche Äußerungen seien eine Provokation, die die Lage in Syrien verschlimmern würde, erklärte Mekdissi. Sie verschlechterten zudem die bilateralen Beziehungen beider Staaten und widersprächen dem Sechs-Punkte-Plan des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Syrien habe »zu keinem Zeitpunkt die türkische Grenze bedroht«, stellte Mekdissi klar. Man wolle mit der Türkei weiterhin gute nachbarschaftliche Beziehungen. Diese würden allerdings von der Türkei auf eine harte Probe gestellt Sie dulde bewaffnete Gruppen auf ihrem Territorium, die von dort Angriffe auf Syrien starteten und nicht vorhätten, sich an einem politischen Prozeß in Syrien zu beteiligen.

In Paris wurde derweil Ende vergangener Woche die Bildung einer »Übergangsregierung« für Syrien bekanntgegeben. Aus Sicherheitsgründen sollten die Namen der Regierungsmitglieder für die »Nach-Assad-Ära« aber erst später bekanntgegeben werden, erklärte der im Exil lebende syrische Geschäftsmann Nofal Dawalibi. Dessen Vater Marouf Dawalibi (1909-2004) war nach der Unabhängigkeit Syriens 1946 Wirtschaftsminister, später Ministerpräsident und wurde nach der Machtübernahme der Baath-Partei 1963 verhaftet. Später ging Dawalibi über Libanon ins Exil nach Saudi-Arabien, wo er als Berater des saudischen Königshauses tätig war. Nofal Dawalibi grenzte sich bei seiner Pressekonferenz in Paris vom Syrischen Nationalrat (SNR) ab und sagte, dieser repräsentiere »weder das syrische Volk noch die Revolu­tion«. Ziel der Übergangsregierung sei es, die »regimekritischen Kämpfer zu bewaffnen« und eine »direkte internationale Militärintervention« umzusetzen. Das werde Sicherheit und Stabilität nach Syrien zurückbringen. (kl)
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