11.02.2012 / Aktion / Seite 16

65 Jahre junge Welt: Worauf es ankommt

Daß die Tageszeitung junge Welt auch 23 Jahre nach der sogenannten Wende noch immer existiert, ist außergewöhnlich. Daß sie aber auch heute noch ihren Kernzielen Frieden, Antifaschismus und Antikapitalismus verbunden ist, daß sie Marxismus und Leninismus als Instrumente zum Erkennen und Interpretieren von Prozessen nutzt, ohne Parteizeitung zu sein, daß sie nicht einer Einzelperson, Partei oder Finanzgruppe gehört, sondern der Genossenschaft ihrer Leserinnen und Leser und sich trotz alledem finanziell über Wasser halten kann, ist besonders erstaunlich. Aber kein Wunder, sondern konkreter Arbeit von Verlag, Redaktion, Genossenschaft und konsequenter Unterstützung von Leserinnen und Lesern zu verdanken.

Natürlich wird nach wie vor versucht, diese Zeitung totzuschweigen. Und wo das nicht mehr gelingt, sie zu verleumden. Oder zu verklagen. Solange das von Nazigrößen oder einem ehemaligen Bundeskanzler, solange das von rechten bis faschistischen Presseorganen oder ganz offiziell von Geheimdiensten und BKA betrieben wird, zählt das zu den Produktionsbedingungen. Jedenfalls hat es die junge Welt bis heute verstanden, juristischen Angriffen zu widerstehen, inhaltlich klar zu bleiben und sich ökonomisch zu stabilisieren.

Aber gerade letzteres ist relativ. Einer Zeitung, die ihre Kosten fast ausschließlich über Aboeinnahmen deckt, sind Grenzen gesetzt. Zumal wenn keine Kirche, Organisation oder Partei ihr finanziell unter die Arme greift. Eine Konsequenz davon ist journalistische Unabhängigkeit. Eine andere die bescheidene finanzielle Ausstattung von Verlag und Redaktion. Zwar bezahlt die junge Welt im Gegensatz zu einer Reihe von alternativen Print- und Internetzeitungen ihre Autorinnen, Autoren und Mitarbeitenden. Für ein linkes Projekt gar nicht mal so schlecht, aber auch nicht wirklich gut. In der jungen Welt hat die Belegschaft allerdings entscheidenden Einfluß, so zum Beispiel darauf, wie die Gehaltsstruktur aussieht. Für freie hauptberufliche Autoren werden Zeilengelder bezahlt, deren Höhe sich an den von Verlegern und Gewerkschaft erarbeiteten Richtlinien orientiert. Gehälter für die Beschäftigten in Verlag und Redaktion werden nach dem mit Gewerkschaft und Belegschaft ausgearbeiteten Haustarifvertrag und Betriebsvereinbarungen bezahlt, also nicht nach dem Flächentarif. Auflage und Anzeigenvolumen der jungen Welt lassen das nicht zu. Auch wenn wir in den letzten Jahren die Gehälter verbessern konnten: Soviel wie ein Redakteur der Bild-Zeitung werden die jW-Kollegen nicht annähernd bekommen.

Die bescheidene ökonomische Ausstattung schränkt uns auch in der Werbung ein. Wie aber können wir neue Leserschichten erschließen, wenn die materiellen Voraussetzungen dazu nicht ausreichen? Hier ersetzt das Engagement unserer Leserinnen und Leser fehlende Millionen im Werbeetat. Kampagnen wie die Aktion »Sieben auf einen Streich« haben dazu geführt, daß die junge Welt die einzige überregionale Tageszeitung ist, die in den letzten Jahren ihre Kioskverkäufe nennenswert entwickeln konnte. Auch der Bestand an bezahlten Abonnements konnte ausgebaut werden, bleibt aber noch immer auf zu niedrigem Niveau. Aber da gibt es Zigtausende, die nur deshalb kein Abo haben, weil sie auch nach 65 Jahren vom Angebot dieser Zeitung nichts wissen. Und Tausende, die die junge Welt schätzen, aber noch immer nicht Mitglied ihrer Genossenschaft sind. Verlag, Redaktion und Genossenschaft arbeiten weiter hart daran, daß sich beides ändert.

Vorstand der LPG junge Welt eG
https://www.jungewelt.de/artikel/178306.65-jahre-junge-welt-worauf-es-ankommt.html