12.05.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
Bewegung in Endlager-Debatte
Reimar Paul
Auch in die festgefahrene Endlagerdebatte kommt Bewegung. Der
Karlsruher Geoforscher Frank Schilling plädiert für einen
Abschied vom bisherigen Konzept, wonach der Atommüll für
100000 oder sogar eine Million Jahre sicher unter der Erde gelagert
werden soll. Er wirbt statt dessen für eine Lagerung auf
Zeit.
Schilling verweist darauf, daß ein Dauerendlager in Salz-,
Granit- oder Tonformationen erst in 40 oder 50 Jahren zur
Verfügung steht. Bis dahin bleibe der hochradioaktive
Müll in oberirdischen Hallen. »Lieber rasch ein sicheres
Endlager auf Zeit, etwa für 500 Jahre, als bis auf weiteres
eine unsichere überirdische Zwischenlagerung«, sagt der
Experte.
Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander griff die Idee
am Mittwoch auf und erweiterte sie um eine Variante. Es müsse
auch erörtert werden, ob eine oberirdische Lagerung der
Abfälle für 100 bis 150 Jahre in Betracht käme,
sagte der FDP-Politiker und Atomfreund. Eine solche Aufbewahrung
böte die Chance, den Abfall bei einem späteren
wissenschaftlichen Fortschritt in einigen Jahrzehnten
womöglich als Energieträger zu nutzen.
Das sei kein Beitrag zur Atommüllentsorgung, erklärt
dagegen die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz
Lüchow-Dannenberg. Damit würde der Status quo des
Atommülldilemmas nur fortgeschrieben. Sander plädiere
letztlich dafür, die Entsorgung der radioaktiven Abfälle
auf die lange Bank zu schieben. »Absurd ist die Vorstellung,
den heißen Müll oberirdisch zu lagern und auch noch als
Wärmequelle zu nutzen«, sagte BI-Sprecher Wolfgang
Ehmke. Auf der Tagungsordnung stehe statt dessen ein Neustart der
Endlagersuche ohne Gorleben.
Die Grünen im niedersächsischen Landtag nannten Sander
einen »proatompolitischen Wirrkopf«. »Bei Sander
geht alles durcheinander: Endlager Gorleben, oberirdische Lagerung,
Sicherheitsstandards – ja, nein, vielleicht«, sagte
Fraktionschef Stefan Wenzel. Jetzt erkläre er den radioaktiven
Müll auch noch zum möglichen Energieträger der
Zukunft. Sander sei »auf dem besten Weg, die Option auf eine
bundesweite Endlagersuche erneut zu verhindern«
https://www.jungewelt.de/artikel/163779.bewegung-in-endlager-debatte.html