07.05.2011 / Aktion / Seite 16
Konterrevolution
Wie die junge Welt Chávez und Castro stürzen will
Dietmar Koschmieder
Daß die junge Welt Kontakte zu Terrorgruppen hat, behauptete
schon die Leitung der damals unter Einfluß des italienischen
Berlusconi-Imperiums stehende Bankhaus Löbbecke im Jahre 2003
und kündigte deshalb die Geschäftsverbindung. Beim
klärenden Gespräch belegte man diese These mit Artikeln
über die FARC, der ältesten lateinamerikanischen
Guerillagruppe aus Kolumbien, die in der jungen Welt erschienen
seien. 2008 versuchte der damalige CSU-Generalsekretär
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg der jungen Welt
»Sympathie mit dem Terror« nachzuweisen. Er faselte vom
»mächtigen Medienapparat der ehemaligen SED« und
daß die junge Welt eine besondere Schlüsselrolle darin
einnehme. Medienkampagnen in der jungen Welt würden auf
höchster Ebene von FARC-Kommandanten mit Spitzenkräften
der Linkspartei vereinbart. Auch die von der jW organisierte
Rosa-Luxemburg-Konferenz belege ihre Nähe zum Terror –
meint zumindest der ehemalige BDI-Chef Olaf Henkel. Rosa Luxemburg
sei ja eine Berufsrevolutionärin gewesen, die einst die
Deutsche Republik stürzen wollte, so Henkel in seinem 2007
erschienenen Buch »Der Kampf um die Mitte«. Bei der
Liste der Unterstützer der Konferenz im Internet finde sich
zudem auch »ein Bild des Massenschlächters
Lenin«.
Mittlerweile haben wir die Hausbank gewechselt, und Freiherr wie
Industriellenfreund sind nicht mehr sehr präsent. Trotzdem ist
keine Ruhe eingekehrt, junge Welt geht den Mächtigen weiterhin
gewaltig auf den Keks. Da wagt es diese überregionale
Tageszeitung, über »Wege zum Kommunismus« zu
diskutieren. Imperialistische Angriffskriege werden dort
tatsächlich noch so genannt – und radikal abgelehnt,
auch wenn diese gegen wenig sympathische Machthaber geführt
werden. Mord wird auch dann noch als Mord bezeichnet, wenn
Politiker und andere Medien diesen als »erfolgreiche
Ausschaltaktion« beklatschen.
Gegenwind bekommen wir gelegentlich aber auch von unverhoffter
Seite. Zum Beispiel unterstützen wir das bolivarische Projekt
in Venezuela – und sei es nur mit einer fairen
Berichterstattung. Es ist auch hier nicht einfach, gegen den
bürgerlichen Mainstream anzuschreiben, der jede Regierung, die
sich nicht bedingungslos westlichen Interessen und Sichtweisen
unterwirft, bekämpft. In dieser Woche haben allerdings weder
ein Graf, eine Bank oder ein Industriellenvertreter, sondern ein
freier Autor der jungen Welt schwerwiegende Vorwürfe gegen die
Blattlinie dieser Zeitung erhoben: Diese sei
konterrevolutionär, antichavistisch und antikubanisch.
Hintergrund ist die Verhaftung eines schwedischen Journalisten
kolumbianischer Abstammung in Venezuela und seine Auslieferung an
das rechtsgerichtete Regime in Kolumbien – mit Billigung von
Venezuelas Regierungschef Hugo Chávez. Das führte zu
heftigen Protesten von Gewerkschaften und anderen
Bündnispartner, etwa der Kommunistischen Partei. Dem
schwedischen Journalisten wird publizistische und propagandistische
Aktivität für die FARC in Europa vorgeworfen. Also nichts
anderes, als es auch der jungen Welt, zahlreichen
Linkspartei-Abgeordneten, Gewerkschaftern und Aktivisten der
sozialen Bewegungen von interessierten Kreisen vorgeworfen wird.
Wir berichtete nin den letzten Tagen sachlich über diese
Vorgänge. In einem Leitkommentar hat die junge Welt allerdings
auch klar Position bezogen und die Auslieferungsentscheidung
kritisiert (siehe jW vom 27.04.2011).
Ingo Niebel, der für uns aus dem Baskenland und gelegentlich
zu Themen aus Lateinamerika, vor allem Venezuela berichtete, ging
diese Kritik zu weit. Er sieht die junge Welt durch diesen
Kommentar in »antichavistischem und somit in
konterrevolutionärem Fahrwasser«. Niebel geht weiter, er
sieht einen Zweistufenplan, nach dem zuerst Caracas, dann Havanna
zu Fall gebracht werden sollen, für dessen Umsetzung sich nun
auch die junge Welt hergäbe.
Nun ist es nichts Außergewöhnliches, wenn ein Autor in
einzelnen Punkten mit unserer Berichterstattung nicht einverstanden
ist. Erstaunlich ist allerdings, daß Ingo Niebel kein
Gespräch gesucht hat. Statt dessen formuliert er eine
vierseitige Erklärung und verlangt von der jungen Welt
Konsequenzen. Er droht an, seine absurden Vorwürfe in seinem
»beruflichen und politischen Umfeld im In- und Ausland publik
zu machen«. Noch bevor wir reagieren konnten, war die
Erklärung auf der halben Welt verbreitet. Wie absurd die
Aktion ist, zeigen zwei Reaktionen der letzten beiden Tage.
»Fucking Opportunist«, flucht einer aus dem Umfeld
Niebels – anonym per E-Mail. Das ZK der KP Mexikos ist da
präziser: »Unsere Meinung ist, daß derjenige, der
das geschrieben hat, nicht den Unterschied erkennt zwischen der
notwendigen revolutionären Kritik eines Prozesses und der
grenzen- und bedingungslosen Unterstützung auch bei schweren
Fehlern«, heißt es in einer Solidaritätsadresse.
Dem haben auch wir nichts hinzuzufügen.
https://www.jungewelt.de/artikel/163554.konterrevolution.html