30.04.2011 / Aktion / Seite 16
Zeitung oder Gewerbe
Bestand durch Wandel: Die junge Welt behauptet sich auf einem umkämpften Markt
Arnold Schölzel
Vor einigen Tagen veröffentlichte die Otto-Brenner-Stiftung
eine Studie unter dem Titel »Drucksache Bild – Eine
Marke und ihre Mägde«. Hans-Jürgen Arlt und
Wolfgang Storz stellen darin die These auf, daß es sich bei
dem Blatt nicht um eine Zeitung, sondern um die Inszenierung einer
solchen für kommerzielle Zwecke handele. Bild verkauft selbst
als Einzelhändler in rauhen Mengen
»Volksprodukte«, gestaltet aber vor allem politische
»Events«. Die Autoren haben so ein immer wieder
vergessenes Geheimnis des Medienbetriebs genannt: Entweder Zeitung
oder Verkaufsmaschine, entweder Journalismus oder
»Anzeigenblatt mit redaktionellem Umfeld«, wie jW-Autor
Otto Köhler es einmal formuliert hat. Natürlich
schließen sich seriöse Zeitung und Gewerbe nicht
völlig aus, das Problem ist: Die journalistische Qualität
nimmt in dem Maße ab, in dem der Renditedruck steigt. Der
wuchs aber besonders im vergangenen Jahrzehnt, nicht zuletzt
deswegen, weil immer weniger Menschen sich eine Zeitung leisten
können oder wollen. Das jüngste Opfer dieser Spirale nach
unten ist die Frankfurter Rundschau, die von ihrem Besitzer mit der
Berliner Zeitung zusammengenagelt wurde.
Die junge Welt kann sich den Marktbedingungen nicht
entziehen. Aber sie ist ihnen im entscheidenden Punkt nicht
unterworfen – private Gewinnmaximierung ist nicht angesagt.
Hinzu kommt: Diese Zeitung ist zwar parteilich in sozialen Fragen
und im Kampf gegen Krieg, aber weder finanziell noch der Sache nach
von einer Partei bestimmt. Das ermöglicht, das zu
recherchieren und zu veröffentlichen, was andere nicht gern
lesen.
Wer Tatsachen liefert, die nicht ins jeweilige Welt- oder
Parteibild passen, dem gelten merkwürdige, manchmal
gefährliche Attacken. Zwei Beispiele aus der vergangenen
Woche: Der Deutsche Presserat teilte mit, daß die Beschwerde
des Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS),
Johannes Rink, über drei jW-Beiträge als unbegründet
abgewiesen wurde. Rink hatte u.a. moniert, daß jW berichtet
hatte, Mitglieder der Rechtsaußenbewegung Pro Deutschland und
der VOS seien am 8. Januar vor dem Verantstaltungsort der
Rosa-Luxemburg-Konferenz zusammen aufmarschiert. Das entsprach den
Tatsachen. Nicht weit entfernt von dieser Art verzerrter
Wahrnehmung war am vergangenen Mittwoch ein Artikel in der
Süddeutschen Zeitung über die »Fair
Play«-Initiative von Mitgliedern der Linkspartei. Der Autor
schrieb, daß im Aufruf der Initiative »das marxistische
Blatt junge Welt« erwähnt wird und fährt
fort: »Innerparteilich ist die junge Welt
spätestens berüchtigt, seit sie Ende 2009 in einem
heftigen Machtkampf Stimmung machte gegen den damaligen
Geschäftsführer Dietmar Bartsch.« Zur Erinnerung:
Der Spiegel löste eine mediale Treibjagd auf Oskar Lafontaine
aus, in die sich Bartsch mit Äußerungen einschaltete,
die in der Partei Empörung auslösten. Als jW Auszüge
aus einem stern.de-Text zur Rolle Bartschs in der
Auseinandersetzung dokumentierte, mißfiel dies. Nicht nur
lechts und rinks kann man velwechsern, sondern auch Ursache und
Wirkung.
Für jW gilt: Existenzbasis dieser Zeitung bleiben ihre
Genossenschaft, die Abonnenten und Käufer – und
Veränderung. Derzeit diskutieren wir ein Konzept zu einer
neuartigen Verschränkung von Druck- und Internetausgabe.
Leider haben wir gerade eine wichtige Stütze mit dem Weggang
von Gerd Schumann, unserem langjährigen Leiter des Ressorts
Außenpolitik, verloren und bedauern das sehr. Aber der
Neuanfang ist gemacht: Am 1.Mai übernimmt André Scheer
offiziell die Leitung des Ressorts. Der Lateinamerikaspezialist hat
sich durch seine kenntnisreichen, informativen Beiträge in jW
bei vielen Lesern längst einen Namen gemacht. Es
läßt sich auch so sagen: Schwer fiel die Entscheidung
nicht.
https://www.jungewelt.de/artikel/163127.zeitung-oder-gewerbe.html