23.04.2011 / Aktion / Seite 16
Kapitalismus oder Tod
Wie in der Berliner Zeitung Wirklichkeit zurechtgebogen wird. Keine brauchbare Alternative zum kubanischen Sozialismus
Dietmar Koschmieder
So stellen sie sich das vor: »Kapitalismus oder Tod«
überschrieb die Berliner Zeitung am vergangenen Samstag, 16.
April 2011, ihren Leitartikel auf Seite 5. Nach 50 Jahren
sozialistischer Mißwirtschaft schaffe die kubanische
Führung am Wochenende auf dem Parteitag der KP Kubas ihre
Staatswirtschaft ab. Methoden des Klassenfeindes sollen Rettung
für die am Abgrund balancierende Wirtschaft bringen,
heißt es wörtlich. Es gäbe keinen Weg zurück
zur Staatswirtschaft, allerdings auch nur, weil sonst der Untergang
unmittelbar bevorstünde, meint Kommentator Klaus Ehringfeld.
Seine Ratschläge: Mehr Privatbesitz sei nötig,
außerdem müsse Kuba endlich wieder exportieren.
Wieder exportieren? Die aktuelle wirtschaftliche Krise Kubas ist
nicht nur durch die Blockadepolitik der Westmächte, vor allem
der USA, Wirbelstürme und Trockenperioden bedingt. Sondern
auch durch die Folgen der weltweiten Finanzkrise. Gerade
wirtschaftlich schwache Länder müssen für Importe
seither mehr bezahlen, erlösen für Exporte aber deutlich
weniger. Da Kuba an wichtigen Errungenschaften der sozialen
Revolution festhalten möchte, sind eine Reihe von
Veränderungen unumgänglich. Aber die Staatswirtschaft
wird nicht abgeschafft: Der staatliche Plan gilt weiter, wichtige
Produktionsmittel und öffentliche Daseinsvorsorge bleiben in
staatlicher Hand. Deshalb mußte dann Herr Ehringfeld ein paar
Tage später in der Berliner Zeitung (Mittwochausgabe)
enttäuscht feststellen: »Die kubanische Führung
machte ...mehrfach deutlich, daß es sich nicht um einen
Wechsel des Modells handele, sondern um eine Aktualisierung und
Stärkung des Sozialismus.« Die Tips von Ehringfeld
wurden also nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb der
Autor zum Ende des Beitrages schmollt: »Kritiker halten die
Reformen nicht für ausreichend. Für wirksame
Veränderungen sei auch ein Regimewechsel nötig ..., so
Bert Hoffmann vom Hamburger GIGA-Institut für
Lateinamerika-Studien.« Ebenfalls in der Berliner Zeitung
(Montagausgabe) kommentiert Maritta Tkalec: »Die Neuigkeiten
aus Kuba sind komisch, aber nicht lustig, und es steht die Frage:
Warum nehmen die lebensfrohen, gebildeten Kubaner den Zirkus hin?
Sie wissen doch, wo der Revolutionsplatz liegt. Warum macht der
Kubaner nicht den Ägypter?« Daß es endlich auch in
Kuba losgeht mit der Volkserhebung, wünschen sich noch ganz
andere. Auch hier stünden dann ganz schnell Bomber,
Flugzeugträger und Bodentruppen bereit, dem unterdrückten
Volk zu helfen. Ungefähr so wie vor 50 Jahren, als der
US-Imperialismus und Exilkubaner mit ihrer Invasion in der
Schweinebucht gescheitert waren. Der Kubaner hat eben keine Lust
darauf, für fremde Mächte den Ägypter zu machen.
Frau Tkalec weiß auch, warum: »Die Antwort lautet: Sie
halten die Alternativen für noch schlimmer.« Obama sei
es »noch nicht gelungen, ihnen die Furcht vor dem alles
verschlingenden Moloch USA zu nehmen«.
Der genannte Parteitag war keine Reaktion auf aktuelle Unruhen in
verschiedenen Teilen der Welt. Seine Vorbereitung begann schon
lange Zeit davor. Viele auch junge Wissenschaftler arbeiten daran,
wie Kuba unter den heutigen komplizierten Bedingungen
überleben und auch als armes Land seine beispielhaften
Errungenschaften für das Volk erhalten kann. Sie kopieren
dabei kein Modell, aber sie nutzen die Erfahrungen aus China und
Vietnam. Sie sprechen nicht von Reformen, weil sie aus der
Zerschlagung der DDR ihre Schlußfolgerungen ziehen. Und so
bleibt Kuba weltweit für viele Menschen, die für
Veränderung kämpfen, ein leuchtendes Beispiel: Selbst
unter sehr komplizierten Bedingungen wird dafür gekämpft,
den Sozialismus zu erhalten und zu entwickeln. Die junge Welt wird
auch in den nächsten Jahren diesen Prozeß journalistisch
fair begleiten. Daß sie sich schon damit ein
Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Medienlandschaft
erarbeitet, ist nicht unbedingt ein Grund zur Freude.
https://www.jungewelt.de/artikel/162806.kapitalismus-oder-tod.html