13.04.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
Hintergrund: Massaker im Libanon
Die Fliegen haben es uns erzählt – mit diesem Satz
beginnt Robert Fisks erschütternde Reportage aus den
palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im
Jahr 1982. Er war einer der ersten Journalisten, die nach dem
Massaker an den Bewohnern der Camps den Schauplatz des Verbrechens
betraten. Hunderte, Tausende Leichen waren von den Mördern der
christlichen Phalange-Miliz in den Gassen der Lager
aufeinandergestapelt worden – »Millionen von
Fliegen« umschwirrten die Kadaver, wie Fisk aufschreiben
wird. Was er und seine Begleiter zu sehen bekamen, konnten sie im
ersten Moment kaum fassen.
Es war Robert Fisk, der das wahre Ausmaß des Massakers
erkundete und der Weltöffentlichkeit übermittelt hatte.
Dabei wagte er sich in die engen Gänge der Lager vor, befragte
die wenigen Überlebenden, die triumphierenden Täter und
die Drahtzieher der Grausamkeiten: die israelische Besatzungsarmee
im Libanon und die israelische Regierung. Verteidigungsminister
Ariel Scharon und seine Untergebenen hatten den Phalangisten freie
Hand bei der Ermordung der palästinensischen Zivilisten
gegeben– wie Fisks Reportage beweist, handelte es sich bei
den Opfern keineswegs nur um PLO-Kämpfer, wie die
Verantwortlichen glauben machen wollten. Statt dessen wurden weder
Frauen noch Kinder geschont. Israelische Soldaten hatten die
Ausgänge des Lagers während des Gemetzels bewacht und mit
Leuchtraketen über den Lagern dafür gesorgt, daß
die libanesischen Milizen gute Sicht auf ihre Opfer hatten.
Fisks Bericht ist ein dramatisches, bedrückendes, aber
zugleich auch zutiefst politisierendes Beispiel für
engagierten Journalismus. Seine persönliche Haltung und seine
Betroffenheit sind in jedem Satz spürbar. Zugleich will er die
Schuldigen namhaft machen und so der Weltöffentlichkeit die
Hintergründe von Krieg und Gewalt im Libanon
erklären.
Ariel Scharon als Mitverantwortlicher des Massakers mußte
seinen Posten 1983 räumen. Dennoch wurde er 2001
Ministerpräsident Israels, das bislang nicht aufgehört
hat, den Libanon und seine Einwohner militärisch zu bedrohen
und im Zweifelsfall auch zu bombardieren und zu überfallen.
Sabra und Schatila werden auch heute noch von
palästinensischen Flüchtlingen bewohnt, die weiter
rechtlos und schutzlos um ihr Überleben kämpfen.
Robert Fisk: Sabra und Schatila. Ein Augenzeugenbericht.
Libanon 1982. Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen
Heiser. Promedia-Verlag Wien 2011, 96 Seiten, 9,90 Euro
https://www.jungewelt.de/artikel/162355.hintergrund-massaker-im-libanon.html