09.04.2011 / Aktion / Seite 16
Presseinhaltsdelikte
Wie der Berliner Polizeipräsident gegen die junge Welt vorgeht
Denis Gabriel
Die Leserinnen und Leser der jungen Welt täglich mit
etwas anderer Information, Analyse und Meinung zu beliefern als es
der mediale Mainstream vorgibt, kann gefährlich sein. So eine
Zeitung »wird selber Ziel von undemokratischen Angriffen und
muß ökonomisch hart um die Existenz kämpfen«,
haben wir an dieser Stelle letzte Woche geschrieben.
So mußte sich unser Autor Thies Gleiss für seine in der
jungen Welt vom 20. Mai 2010 geäußerte politische
Meinung gerichtlich verantworten. Die Verrechnung von Toten und
Opfern sei nicht angebracht, schrieb Gleiss und weiter:
»Sollen wir etwa mitspielen: An der Berliner Mauer starben
136 Menschen eines gewaltsamen Todes (…), aber in
Afghanistan haben von SPD und Grüne geschickte
Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen
umgebracht…« Damit wolle Gleiss die Ehre von
Bundeswehrsoldaten verletzen und herabsetzen, meinte die Berliner
Staatsanwaltschaft, das Amtsgericht verfügte einen Strafbefehl
in Höhe von 5400 Euro, wogegen Gleiss Einspruch erhob. Gestern
milderte nun das Berliner Amtsgericht Tiergarten den Strafbefehl
auf 2250 Euro. Auch dagegen wird jW-Autor Gleiss vorgehen.
Es war nicht der erste Angriff der Staatsanwaltschaft auf die
junge Welt. Gegen Chefredakteur Arnold Schölzel wurde
seit Februar 2009 wegen Beleidigung ermittelt. In einem
Wochenendinterview der jungen Welt erkannte sich der
Berliner Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe unter der
Bezeichnung »der Irre von Hohenschönhausen« wieder
und erstattete Anzeige. Schölzel bekam einen Strafbefehl in
Höhe von 5400 Euro, weil er als presserechtlich
Verantwortlicher diese Passage nicht wegzensiert hatte.
Schölzel erhob mit Erfolg Einspruch, in erster wie in zweiter
Instanz wurde der jungen Welt das Recht auf freie
Meinungsäußerung bzw. der Öffentlichkeit das Recht
auf umfassende Information zugesprochen. Dagegen hatte die
Staatsanwaltschaft zunächst Revision eingelegt, diese dann
aber zurückgezogen, so daß dieses Urteil erst am 17.
Februar 2011 rechtskräftig wurde.
Daraufhin nahm sich der Berliner Polizeipräsident die
Berichterstattung zu den Castortransporten in unserer Zeitung vor.
Weil ihm auch die nicht gefällt, beschuldigt er den
Geschäftsführer der jungen Welt, Dietmar
Koschmieder, mit Schreiben vom 1.März 2011 der
»öffentlichen Aufforderung zu Straftaten«.
Ermittlungen werden eingeleitet. Den nächsten Brief an die
junge Welt verfaßt der Berliner Polizeipräsident
dann am 29. März 2011. Diesmal läßt er dem
Chefredakteur dieser Zeitung mitteilen, daß gegen ihn wegen
»Belohnung und Billigung von Straftaten
(Presseinhaltsdelikt)« ermittelt wird. Tatort seien Verlag
und Redaktion. Was da genau belohnt und gebilligt wurde,
verschweigt der Herr Präsident in seiner Vorladung. Vermutlich
geht es aber um einen Text von Inge Viett in Vorbereitung der
diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Inge Viett und Gesine
Lötzsch haben ihre Ansichten zum Thema »Wo bitte
geht’s zum Kommunismus? Linker Reformismus oder
revolutionäre Strategie – Wege aus dem
Kapitalismus« thesenhaft für die jW formuliert. Die
Empörung im bürgerlichen Blätterwald war gewaltig,
Gesine Lötzsch wurde unter Druck gesetzt, und gegen Inge Viett
wird ermittelt, weil sie ihre Meinung wohl etwas zu frei
geäußert hat. Presseinhaltsdelikt, schreit die
Staatsanwaltschaft – nach ihrer Meinung falsche Inhalte in
der Presse halt.
Damit wir auch weiterhin solche Inhalte vermitteln können,
brauchen wir dringend Unterstützung. Es helfen Spenden in den
Prozeßkostenfonds. Wichtig ist vor allem, daß diese
Zeitung und ihre Inhalte noch viel mehr Menschen bekannt werden.
Die Verteilaktionen zu den Ostermärschen und zu den
Kundgebungen und Demos am 1.Mai sind eine gute Möglichkeit
dazu.
https://www.jungewelt.de/artikel/162129.presseinhaltsdelikte.html