15.02.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
Protestbewegung
Streiks und Gespräche
Hunderte Ägypter haben am Montag in Kairo für höhere
Löhne und bessere Arbeitsbedingungen demonstriert. Vor der
Zentrale des staatlichen Rundfunks versammelten sich am Vormittag
Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe, auf dem
Tahrir-Platz trafen sich Angestellte der staatlichen Jugend- und
Sportorganisation zu einer Kundgebung. In beiden Fällen wurde
vor allem eine bessere Bezahlung gefordert. Nach einem Streik von
Mitarbeitern der größten Bank des Landes, der
Nationalbank, rief die ägyptische Zentralbank zudem auch
andere Geldinstitute zur Schließung ihrer Filialen auf.
Der Oberste Militärrat in Ägypten, der seit dem
Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak am vergangenen
Freitag das Land regiert, forderte gestern ein Ende der Proteste
und Streiks. Gleichzeitig traf er sich zu Gesprächen mit
Protagonisten der Oppositionsbewegung. Der Militärrat habe
eine Volksabstimmung über die neue Verfassung binnen zwei
Monaten zugesagt, teilten der ägyptische Google-Manager Wael
Ghonim und der Blogger Amr Salama am Montag nach dem Gespräch
mit. Der Militärrat kündigte demnach an, in den kommenden
anderthalb Wochen Änderungen an der Verfassung vorzuschlagen.
Über die Pläne solle die Bevölkerung in zwei Monaten
in einem Referendum abstimmen. Ghonim ist der Google-Marketingchef
für den Nahen Osten und Afrika. Er war während der
Proteste gegen Mubarak festgenommen worden und hatte zwölf
Tage in Haft verbracht. Er initierte die Webseite »Wir sind
alle Kalid Said« im Onlinenetzwerk Facebook, die an der
Organisation der Massenproteste gegen die Diktatur beteiligt war.
Der Name der Gruppe bezieht sich auf einen jungen Mann, den die
ägyptische Polizei zu Tode geprügelt hatte.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am
Montag, sein Land hoffe darauf, bestehende Friedensverträge
mit Ägypten zu stärken und weitere zu unterzeichnen. Im
Zweifelsfall sei Israel aber »auf jede Möglichkeit
vorbereitet«. In der arabischen Welt sei ein
»Erdbeben« im Gange, sagte Netanjahu, er »hoffe
das Beste«. Der Oberste Militärrat in Ägypten
erklärte nach dem Rücktritt von Mubarak, alle bestehenden
internationalen Verträge einhalten zu wollen. Der
ägyptische Politiker Ayman Nur, Vertreter der
liberal-säkularen Opposition, sagte dagegen laut israelischer
Tageszeitung Haaretz, daß der Friedensvertrag von 1979
»vorbei« sei bzw. »zumindest« neu
verhandelt werden müsse.
In den Medien kursierten unterdessen Gerüchte über eine
Flucht Mubaraks und seiner Familie ins Ausland. Als Ziel genannt
wurde das Emirat Schardscha am Persischen Golf.
(dapd/AFP/jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/159276.protestbewegung.html