12.02.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
Mubaraks Rede: Verklausulierter Nichtrücktritt
Millionen Menschen auf den Straßen Ägyptens und
Millionen vor den TV-Geräten in der Welt verfolgten am
Donnerstag abend die Fernsehansprache des ägyptischen
Präsidenten Hosni Mubarak. Zumal in den Stunden zuvor aus
seinem Umfeld der Eindruck erweckt worden war, der Präsident
werde seinen Rücktritt verkünden. Doch der seit 30 Jahren
regierende »Pharao« enttäuschte auf ganzer Linie
und fachte den Unmut der Massen erst richtig an. In einer
langatmigen Rede kündigte Mubarak lediglich die
Übertragung von Machtbefugnissen an seinen Stellvertreter Omar
Suleiman, den langjährigen Chef des Geheimdienstapparats, an.
Was genau sich hinter seiner Ankündigung verbirgt, führte
er nicht aus.
»Ich habe beschlossen, die Befugnisse des Präsidenten
der Republik gemäß dem, was die Verfassung vorsieht, zu
übertragen«, sagte Mubarak im Staatsfernsehen.
»Die Übergabe der Macht dauert von heute bis zum
September«, fügte Mubarak in seiner Rede hinzu. Dies
spricht nicht dafür, daß der 82jährige vor den
für September geplanten Präsidentschaftswahlen sein Amt
aufgibt und damit den Forderungen der Opposition nachgibt. Mubarak
kündigte in der Rede außerdem die Änderung von
fünf Verfassungsartikeln sowie die Streichung eines weiteren
an. Geändert werden sollen Artikel 76, der sehr restriktive
Bedingungen für eine Präsidentschaftskandidatur
formuliert, und Artikel 77, wonach der Präsident sich
unbegrenzt oft wiederwählen lassen kann. Umgeschrieben werden
laut Mubarak auch Artikel 88 zur Wahlaufsicht, Artikel 93, der das
Einspruchsrecht nach Parlamentswahlen einschränkt, und Artikel
189, der vorsieht, daß nur der Präsident und der
Parlamentspräsident Verfassungsänderungen vorschlagen
können. Abgeschafft werden soll Artikel 179, wonach der
Präsident anordnen kann, terrorverdächtige Zivilisten vor
ein Militärtribunal zu stellen. Eine Änderung der
Verfassung, darunter die Erleichterung der
Präsidentschaftskandidatur, war allerdings schon vor Mubaraks
Rede zugesagt worden.
Vize Suleiman forderte nach Mubaraks Rede ein Ende der
Großkundgebungen in Ägypten. Als seien sie kleine
Kinder, rief er die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo
auf, nach Hause zu gehen – was diese mit wütenden
Protesten quittierten. (AFP/jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/159160.mubaraks-rede-verklausulierter-nichtrücktritt.html