05.02.2011 / Feuilleton / Seite 12
Chaoswelten
Wir gehören in der Karibik, auf den Antillen, zur deportierten
Bevölkerung, wir wurden aus Afrika deportiert, und deshalb ist
für uns die Erde weiterhin das, was sie ursprünglich war:
wild.« Für Edouard Glissant waren es Chaoswelten, Orte
wie die die Antillen, wo er im September 1928 auf Martinique
geboren wurde. Aber es gab sie überall, die
»Kreolisierung«, die kulturelle Durchmischung der
Kulturen durch Kolonialismus und Sklaverei.
Wenn der Dichter, Romancier und Essayist von Kreolisierung sprach,
meinte er immer ein globales Phänomen, das er lebte und
propagierte. »Wenn Sie eine afrikanische Rythmik nehmen und
westliche Instrumente, Saxophon, Geige, Klavier, Posaune, dann
haben Sie den Jazz. Das nenne ich Kreolisierung«, schrieb er
2007 in der Süddeutschen Zeitung.
Glissant starb am Donnerstag im Alter von 82 Jahren in Paris. Er
galt nicht nur als bedeutender Literat, sondern auch als Vordenker
postkolonialer Kulturtheorien. Zudem setzte er sich in den
antikolonialen Bewegungen ein. Nach dem Erscheinen seines ersten
Romans »La Lézarde« (1958, dt. Sturzflut«,
1979) gehörte er zu den Mitbegründern der der
Befreiungsfront »Antillo Guyanais«. Der damalige
französische Präsident General Charles de Gaulle verbot
das Buch und verbannte Glissant für ein Jahr von Martinique.
(jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/158739.chaoswelten.html