05.02.2011 / Aktion / Seite 16

Gelegentliche Verschattung

Volkes Wille in Ägypten und anderswo muß sich Unterstützung aus dem Westen erst ordentlich verdienen

Dietmar Koschmieder
Obwohl Mubaraks Tage als Präsident Ägyptens gezählt sind, weigert sich der deutsche Außenminister, sich klar zu positionieren. Medien, Experten und gewitzte Politiker haben schon längst erkannt, daß man mal rasch die Fronten wechseln sollte. Selbst die USA lassen Mubarak– nach anfänglichem Zögern – fallen wie eine heiße Kartoffel, kommentiert die Frankfurter Allgemeine am Donnerstag. Stern online berichtet am Freitag, daß Guido Westerwelle noch vor wenigen Monaten das Mubarak-Regime wegen dessen »langjähriger politischer Kontinuität« als »Stabilitätsanker« in der Region gerühmt hat. Zur Sicherung dieser Stabilität habe man seit dem Jahr 2000 deutsche Rüstungsexporte im Wert von 270 Millionen Euro für das Regime genehmigt. Es sind deutsche Panzer, die durch Kairos Straßen rollen, und in Berlin erprobte MAN-Wasserwerfer, die in Suez die Demonstranten von den Straßen fegen. Wahrscheinlich gibt Westerwelle deshalb Ägypten noch nicht verloren, er fordert zwar mit markigen Worten Demokratie, aber keinesfalls den sofortigen Rücktritt Mubaraks. »Wer das ägyptische Volk regiert, das kann nur vom ägyptischen Volk entschieden werden«, weicht Westerwelle laut Stern konkreten Fragen aus.

Demokraten könnten wegen der Glaubwürdigkeit eigentlich nur auf die Demokratie setzen, meint Berthold Kohler in seinem Titelseitenkommentar in der Frankfurter Allgemeinen vom Donnerstag mit der hübschen Überschrift »Die Welt, wie sie ist«. Sie müßten eigentlich alle Demokratisierungsversuche unterstüzten, meint er, um sich dann zu präzisieren: eigentlich nur jene, die von einer Volksbewegung getragen werden, die diese Hilfe auch verdient. Wie verdient sich nun das Volk solche Hilfe? Da gäbe es schließlich Bewegungen, die zwar durch Wahlen bestätigt seien, aber der damit zum Ausdruck gebrachte Volkswille müsse »nicht immer nur auf Friede, Freude, Eierkuchen gerichtet sein«. Soll heißen, daß der Volkswille nicht immer und überall den Wünschen und Interessen des Westens, also des Kapitals, wohlgefällig ist.

Mit den Beispielen Irak, Afghanistan und Palästina macht Kohler dann deutlich, daß nicht alles schon deshalb gut wird, »wenn nur erst das alte Regime abgesetzt ist und das Volk endlich selbst bestimmen darf, wer es künftig regieren soll«. Demokratie ist halt doch nicht alles, trotzdem werde man sich mit den »neuen Gebilden« arrangieren müssen, wie schon zuvor mit diversen Mächten, »die zwar keine lupenreine Demokratien sind, die sich aber, von gelegentlichen Verschattungen abgesehen, trotzdem in der Gunst des Westens sonnen, weil sie Rohstoffe oder Konsumenten im Überfluß haben«. Oder weil sie über Macht verfügten, als Schutzherren und Anwälte der lupenreinen Bösewichter globale Ordnungsbemühungen zu konterkarieren. Demokratie? Manchmal beschreibt sogar die FAZ die kapitalistische Welt, wie sie wirklich ist.

Deshalb also basteln US-amerikanische Gesandte in Kairo und anderswo an einer Übergangsregierung, sollen dort verbrauchte Marionetten durch neue ersetzt werden. Aber auch dann, wenn das Volk sich nicht täuschen läßt und sich um seine Geschicke selbst kümmert, kann man noch so einiges drehen. Die Westerwelles und Clintons werden dann ganz schnell schon immer auf der Seite des Volkes gestanden haben und sich mit dem Volk von Ägypten über die Wiederbelebung der demokratischen Freiheiten freuen.

Aber nur, wenn dem Aufstand Friede, Freude, Eierkuchen und Coca-Cola folgen. Denn da hat man sich schon mal kräftig geirrt. Am 11. Januar 1959, nur wenige Tage nach der erfolgreichen Revolution in Kuba, läßt die Firma Coca-Cola ganzseitig in der in Havanna erscheinenden Kultur- und Politikzeitschrift Bohemia per Anzeige bekanntgeben: »Die Abfüllfirma Coca-Cola S.A. freut sich mit dem Volk von Kuba über die Wiederbelebung der demokratischen Freiheiten in unserem Vaterland.« Es dauerte noch eine Weile, bis man in den USA erkannte, daß die Kämpferinnen und Kämpfer um Fidel Castro keineswegs die Freiheiten von Coca-Cola wiederbelebten und daß das Vaterland von Coca-Cola eben doch nicht das revolutionäre Kuba ist.



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https://www.jungewelt.de/artikel/158738.gelegentliche-verschattung.html