13.01.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
Kommentar: Die Lust des Regierens
Die Demokratie ist eine Staatsform, in der das Volk seine Regierung
wählt. Das macht sich zwar propagandistisch gut, stellt aber
einen lästigen Störfaktor beim Regieren dar. Deshalb
muß zweierlei unbedingt verhindert werden: Erstens, daß
das Volk tatsächlich Einfluß auf die Politik der
Regierung nimmt, siehe Afghanistan-Krieg. Systematische, aber
dennoch keine größere Renitenz hervorrufende
Mißachtung von Mehrheitsmeinungen gilt geradezu als Substanz
des gehobenen Politikerhandwerks. Und zweitens: Das Volk muß
nicht alles wissen. Genau gesagt: Je weniger das Volk weiß,
um so geringer ist das Risiko, daß es sich qualifiziert in
die Politik der Regierung einzumischen versucht.
Andere Regierungen sind über die Vorgänge in Deutschland
selbstverständlich sehr viel besser informiert als die
Bevölkerung dieses Landes. Deshalb steht in den Berichten, die
beispielsweise die Berliner US-Botschaft an das State Department
schickt, vieles, was deutsche Bürgerinnen und Bürger
eigentlich gar nicht wissen sollten. Es liegt auf der Hand,
daß es für alle Beteiligten äußerst
schädlich ist, wenn davon etwas durchsickert. Irgendwie ist es
auch für die Bürgerinnen und Bürger schädlich,
wenn sie zu gut informiert sind, obwohl sich das logisch nicht ohne
weiteres nachvollziehen läßt.
Dank Wikileaks und einer norwegischen Zeitung wissen wir nun,
daß der BND eigene Aufklärungssatelliten bauen lassen
will. Wir haben außerdem erfahren, daß man das Projekt
mit den üblichen zivilen Ausreden tarnen will:
Katastrophenschutz natürlich, und warum nicht auch gleich noch
die Schweinepest. Betrug gehört ebenfalls zum
Politikerhandwerk. Er muß noch nicht einmal besonders
geschickt sein. Das Volk schluckt eine Menge, bevor es wirklich
rebelliert. Und für Bahnhöfe oder nukleare Endlager im
eigenen Land interessiert es sich weit mehr und heftiger als
für Satelliten, die das Morden in anderen Ländern
erleichtern könnten. Es muß eine Lust sein, unter
solchen Verhältnissen zu regieren. (km)
https://www.jungewelt.de/artikel/157365.kommentar-die-lust-des-regierens.html