30.12.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Dilma Rousseff: Die Planerin
»Hölzern«, »technokratisch,
»emphatielos« – von den Medien wenig geliebt,
gehören solche Charakterisierungen noch zu dem Harmlosesten,
was die Presse über Brasiliens neue Präsidentin Dilma
Rousseff zu sagen hat. In den großen Oppostitionsmedien aus
São Paulo hieß sie schlicht »die eiserne
Lady«.
Tatsächlich verfügt die studierte Ökonomin nicht
über die Hemdsärmligkeit und das rhetorische Talent ihres
Vorgängers Luiz Inácio »Lula« da Silva, der
seine Zuhörer nach Belieben in Begeisterungstürme
versetzen konnte – egal ob er vor Unternehmern oder Arbeitern
sprach. Rousseffs Stil ist eher trocken.
In ihrer politischen Biographie steht Dilma, wie sie in Brasilien
meist genannt wird, ihrem »Mentor« jedoch in nichts
nach: Sie, eine ehemalige Guerillera, er ein ehemaliger
Gewerkschafter. Beide haben ihre Wurzeln im Widerstand gegen die
brasilianische Diktatur, die von 1965 bis 1985 das Land
terrorisierte. Drei Jahre nachdem das Militär den
Präsidenten João Goulart aufgrund seines »zu
linksgerichteten und populistischen politischen Stils« aus
dem Amt geputscht hatte, leiteten Studentenproteste und
Arbeiterstreiks Hand in Hand das erste große Aufbegehren
gegen die Generäle ein. Mit dabei: Rousseff und Lula. Lula war
während dieser Zeit Vorsitzender der
Stahlarbeitergewerkschaft, die später im größten
Dachgewerkschaftsverband des Subkontinents, der CUT, aufging und
zum wichtigsten Widerstandsmotor wurde.
Rousseff hatte 1968 als 21jährige gerade ein Studium der
Ökonomie begonnen und war in einer Abspaltung der
Sozialistischen Partei Brasiliens organisiert. 1969 schloß
sie sich einer der entstehenden Stadtguerillagruppen, dem
»Kommando zur Nationalen Befreiung« an und ging in den
Untergrund. Dort übernahm sie vor allem organisatorische
Aufgaben, für die ihr ein außergewöhnliches Talent
nachgesagt wurde. Sie verwaltete die Finanzen, plante
Raubüberfälle und andere Aktionen. 1970 wurde sie
verhaftet. Zwei Jahre verbrachte sie in verschiedenen
Gefängnissen, wo sie nach eigenen Angaben auch gefoltert
wurde.
In gewisser Weise schloß Rousseff nach der Demokratisierung
des Landes an das an, was sie während der Diktatur gemacht
hatte: Sie plant und organisiert. Diesmal allerdings für den
Staat. Ob als Finanzdezernentin in Porto Alegre, als Bergbau- und
Energieministerin oder dann auch als Chefin des
Planungsministeriums unter Lula – Planung hatte bei ihr
meistens Vorrang vor dem Markt. (js)
https://www.jungewelt.de/artikel/156682.dilma-rousseff-die-planerin.html