20.12.2010 / Feuilleton / Seite 12
Sprechen, Schreiben, Schweigen
Es muß eine düstere Vorahnung gewesen sein, unter der
Kurt Tucholsky den bekannten Eintrag in sein Notizbuch vornahm.
Eine symbolische Treppe zeichnete er, mit den drei Stufen: Sprechen
– Schreiben – Schweigen. Am 21. Dezember ist es 75
Jahre her, dass der Journalist und Zeitkritiker im Alter von 45
Jahren im schwedischen Göteborg für immer verstummte.
Genau diese Treppe ist auch auf einer Gedenktafel abgebildet, die
die deutsche Botschaft in Stockholm am Dienstag an Tucholskys Grab
im schwedischen Mariefred anbringen wird. Damit will die Botschaft,
die auch für die Grabpflege aufkommt, die Erinnerung an den
berühmten Exilanten wachhalten – an den
»Publizisten, Schriftsteller, Friedenskämpfer«,
wie es auf der Tafel weiter heißt.
Tucholsky lebte mehrere Jahre in Schweden im Exil und verewigte das
trutzige Schloß Gripsholm bei Mariefred in seiner
gleichnamigen Erzählung. Dennoch ist die Erinnerung an den
Schriftsteller bei den Skandinaviern alles andere als präsent.
Seit dem Wegfall des Urheberrechts vor fünf Jahren sind in
Deutschland mehr als 60 Neuausgaben seiner Werke erschienen, dazu
fast 30 Hörbücher und Vertonungen. Gleich zwei Verlage
wollen dem Leser gar ein »Weihnachten mit Tucholsky«
verkaufen. Doch ein schwedischer Leser, der sich für Tucholsky
interessiert, findet nicht einmal mehr eine Übersetzung von
»Schloß Gripsholm« – vergriffen.
Dabei ist Tucholskys Name einmal im Jahr, am Tag des inhaftierten
Schriftstellers am 15. November, in den schwedischen Medien
präsent. Dann verleiht die dortige Sektion des
Schriftstellerverbandes PEN ein mit 15000 Euro dotiertes
Tucholsky-Stipendium an einen Journalisten, der aus politischen
Gründen im Exil leben muß. Auch Tucholsky stand am Ende
seines Lebens völlig ohne finanzielle Mittel da und war auf
fremde Unterstützung angewiesen. Seit 1930 wohnte er in einer
Villa in Hindas bei Göteborg. Zu dieser Zeit hatte er
aufgehört, im sich faschisierenden Deutschland Texte zu
veröffentlichen, denn »gegen einen Ozean pfeift man
nicht an.« Er wollte »mit diesem Land, dessen Sprache
ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu
schaffen« haben. 1933 war er einer der ersten, den die Nazis
ausbürgerten. 1935 starb er an einer Überdosis
Schlafmittel. Ob er diese freiwillig oder unabsichtlich einnahm,
ist bis heute nicht geklärt. »Das Andenken an Kurt
Tucholsky und seine besondere Beziehung zu Schweden, wie auch die
Pflege des Grabes, liegen der Deutschen Botschaft sehr am
Herzen« sagt der deutsche Botschafter in Stockholm, Joachim
Rücker.
(dapd/jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/156149.sprechen-schreiben-schweigen.html